Dead End: Thriller (German Edition)
den Neubau, stiegen eine Treppe hinauf und gingen einen Flur entlang, der mich an ein Krankenhaus erinnerte oder an eine große Polizeiwache. Als wir fast am Ende angekommen waren, schloss George eine Tür auf und trat zurück, um mich zuerst eintreten zu lassen.
»Ihr Schlüssel ist hier«, sagte er und legte ihn auf einen Schreibtisch an der einen Wand. »Im Pedellzimmer haben wir einen Ersatzschlüssel, und Ihre Mitbewohnerin hat auch einen. Nettes Mädchen, allerdings kriegen wir sie nicht oft zu sehen. Also, kein Lärm zwischen elf Uhr abends und sieben Uhr früh, Partys müssen von einem Tutor genehmigt werden, und Ihr Zimmerputzdienst wird uns alles Unerwünschte melden.«
Das Zimmer war vielleicht vier mal vier Meter groß. Zwei Schreibtische zogen sich an den gegenüberliegenden Wänden entlang. Es gab zwei Sessel, zwei Schreibtischstühle, zwei an den Wänden befestigte Bücherregale. Zwei Türen führten von dem Raum weg. Eine davon stand offen, und dahinter konnte ich ein kleines Schlafzimmer sehen.
George hatte mitbekommen, wie ich mich umblickte. »Am Anfang findet jeder das komisch«, sagte er, »aber Sie werden sich bald daran gewöhnen. Sie haben eine Stunde Zeit bis zum Abendessen.«
Ich blinzelte heftig. Ich hatte Tränen in den Augen gehabt, und George hatte sie gesehen.
»Schön, Sie hier in St. John’s zu haben, Miss Farrow«, sagte er. »Sie wissen ja, wo wir sind, wenn Sie uns brauchen.«
Ich lauschte, während ihre Schritte den Flur hinunter verhallten, und kam mir angesichts ihrer Freundlichkeit erst recht wie eine Hochstaplerin vor.
»Gewöhn dich lieber dran«, sagte ich mir und machte mich ans Auspacken.
Eine Stunde später wusste ich, dass ich mich nie daran gewöhnen würde. Ich war in einer Blase aus Lärm gefangen, aus selbstsicheren Stimmen und dem unaufhörlichen Klirren von Besteck. Blasse Gesichter über schwarzen Roben. Kerzen und Blumenarrangements umgaben mich, die Kristallkelche auf dem gestärkten Leinen erinnerten an Regenbögen. Und das alles in einem jahrhundertealten Speisesaal, in dem Wordsworth und Wilberforce keine historischen Figuren waren, sondern ehemalige Studenten.
»Ich glaube, die Blumen da sollten eigentlich fast die ganze Woche halten«, bemerkte der rothaarige Junge mit dem schmalen Gesicht, der mir gegenübersaß. Ich blickte auf die Blütenblätter hinab, die ich, ohne es zu merken, einer gelben Blume ausgerupft hatte, und schaute dann wieder den Jungen an, der mit achtzehn Lebensjahren und der Sorte selbstsicherer Gelassenheit aufwarten konnte, die ich nie haben würde.
»Die Lady ist zum ersten Mal in der Hall, also sei nicht so streng mit ihr«, sagte der Physikstudent im dritten Semester zu meiner Rechten. Er hatte sich vorhin meiner erbarmt, als ich in dem gewölbten Türrahmen aus bemaltem Stein gestanden hatte und mir in meinem geliehenen Talar wie ein Statist in einem Harry-Potter-Film vorgekommen war. Er hatte mich in den Saal gelotst, einen Platz für mich gefunden und sich alle Mühe gegeben, Konversation zu machen. Nach zwanzig Minuten hatte er aufgegeben. Ich war so nervös, dass ich mich überhaupt nicht mehr an meine offizielle Coverstory erinnern konnte, und hatte jede seiner Fragen extrem einsilbig beantwortet. Eigentlich hatte ich Hunger gehabt, doch als ich mich mit einem von Kellnerinnen servierten Drei-Gänge-Menü konfrontiert sah, stellte ich fest, dass ich nichts essen konnte. Ich brauchte etwas zu trinken, traute mich jedoch nicht, den unglaublich zarten Kristallkelch in die Hand zu nehmen. Mir war klar, dass ich mit diesen Leuten Bekanntschaft schließen musste, und mir fiel überhaupt nichts ein, was ich sagen könnte.
Ich vermasselte alles. Jeder, der mich sah, würde wissen, dass ich nicht hierhergehörte. Joesbury hatte einen Riesenfehler gemacht, als er mich hergeschickt hatte, und ich hatte einen noch viel größeren gemacht, als ich zugestimmt hatte. So überfordert, wie ich in dieser Umgebung war, hätte ich ebenso gut auf dem Mars sein können. Dabei war heute Montagabend, Herrgott noch mal. Normalerweise gehe ich montags nach der Arbeit kurz ins Fitnessstudio und schiebe mir zu Hause ein Fertiggericht aus dem Supermarkt in die Mikrowelle.
Als das Kaffeegeschirr endlich abgetragen war und die Leute allmählich den Saal verließen, stand ich auf und schlüpfte rasch durch die Menge. Ich würde ihn anrufen und ihm sagen, dass das ganze Unternehmen keinen Sinn hatte.
»Laura!« Eine Hand legte sich auf meine
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