Dead End: Thriller (German Edition)
aufgegangen war, dann hatte er es sich inzwischen anders überlegt und war wieder abgetaucht.
Aus einer Laune heraus fuhr ich noch langsamer und machte die Scheinwerfer aus. Die Nacht schien sich zu verdichten. Mit einem Satz kam sie näher, umringte das Auto. Ich schwör’s, ich konnte die Karosserie unter dem Druck ächzen hören. Völlig abgefahren! Rasch schaltete ich die Scheinwerfer wieder ein. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass die Nacht so krass sein konnte.
Ich fuhr weiter, vorbei an Scheunen oder Ställen zur Rechten und sogar an etwas, das ein Haus hätte sein können. Aber kein Licht, keine geparkten Autos, nichts, was auf ein geselliges Zusammensein hätte schließen lassen. Ich wollte schon fast aufgeben, als ich zwischen zwei hohen Steinsäulen hindurchfuhr und das Bauernhaus vor mir erblickte. Mehrere Wagen parkten davor, und die Fenster im Erdgeschoss waren erleuchtet. Ich parkte und stieg aus. In der E-Mail, die Evi mir vorhin geschickt hatte, hatte sie mich gewarnt, keine hohen Absätze zu tragen. Jetzt war leicht zu erkennen, wieso. Das hier war nicht einmal eine Schotterauffahrt, es war nackte Erde mit ein paar Steinen dazwischen.
Das Haus war zweistöckig, ein quadratischer Steinbau. Es sah aus wie ein Spukhaus aus einem Kinderbuch: gemeißelte Fenstersimse, ein kunstvolles Wappen über der Haustür und diese garstigen koboldartigen Figuren, die von der Dachkante aus mit herausgestreckten Zungen höhnisch auf einen herabgrinsen. In der Mitte der Tür hing ein großer Eisenring. Ich hob ihn an und wollte ihn gerade fallen lassen.
»Diese Tür ist seit dem Tod der alten Queen nicht mehr aufgemacht worden«, ließ sich eine Stimme von einer Seite des Hauses her vernehmen. Ich drehte mich um und sah Nick Bell auf mich zukommen, eine brennende Zigarette in der Hand.
»Gehört das Haus Ihnen?«, fragte ich, als er näher gekommen war, und verfluchte meine Blödheit, Evi nicht gefragt zu haben, zu wessen Party sie mich da einlud.
»Ich glaube eigentlich eher, ich gehöre dem Haus«, meinte er. »Laura, nicht wahr? Evi hat gesagt, dass Sie kommen. Schön, Sie wiederzusehen.«
Er beugte sich herab und küsste mich auf die Wange. Die Haut seines Gesichts war kalt, und sein Atem roch nach Rauch und Rotwein. Ich konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, als seine Lippen mich berührten.
»Dann ist die alte Queen also hier gestorben?«, fragte ich, mehr um meine Verwirrung zu verbergen, als weil mich verblichene Mitglieder des Königshauses interessierten. Das Haus sah alt genug aus, um jede Menge toter Königinnen mit ihm in Verbindung zu bringen.
»Durchaus möglich«, antwortete er. Er trug Jeans und denselben blauen Wollpullover mit den braunen Sprenkeln, in dem ich ihn im Krankenhaus gesehen hatte. »Ihr verwesender Leichnam könnte noch immer in einem der Schlafzimmer liegen«, bemerkte er gerade. »Von Zeit zu Zeit riecht es hier echt sonderbar.«
Ich folgte Nick ums Haus herum, vorbei an Rauchern, die sich um eine Feuerschale zusammendrängten, und durch eine Stiefelkammer, die nach Hund roch. Auf einem Tresen sah ich etwas stehen, das aussah wie ein Karton voller flaumiger gelber Küken. Ich schaute genauer hin. Jawohl, Küken. Tote Küken. Gerade wollte ich Nick fragen, wieso er totes Federvieh in seiner Stiefelkammer aufbewahrte, als er mich in die Küche lotste. Eine schlanke Frau Anfang fünfzig mit schulterlangem dunklen Haar verlangte nach seiner Aufmerksamkeit, und zwei Pointer fesselten meine.
Ich habe sehr wenig Erfahrung mit Hunden, aber es ist schwer, Geschöpfen zu widerstehen, die sich so unverhohlen freuen, einen zu sehen. Beide waren weiß mit braunen Flecken. Der Kleinere, Schlankere hatte ein kakaobraunes Gesicht und so lebhafte Ohren, dass sie förmlich mit mir zu reden schienen. Der andere, dessen Gesicht und Flecken rotbraun waren, sah aus, als wäre er älter; seine großen schokoladenbraunen Augen blickten zugleich weise und freundlich. Auf dem Namensschild an seinem Halsband stand Merry. Der Jüngere hieß Pippin.
Meiner Erfahrung nach können Leute, die sehr auf Der Herr der Ringe stehen, ein bisschen seltsam sein. Andererseits war ich selbst ein ziemlicher Tolkien-Fan.
Nick suchte in einer Küchenschublade herum. Ich stellte die Weinflasche ab, die ich mitgebracht hatte, und schenkte mir einen Orangensaft ein.
»Tolles Haus«, sagte ich, als Nick das Besteck aus der Schublade geräumt hatte und sich wieder mir zuwandte.
»Hat meinen Eltern gehört«,
Weitere Kostenlose Bücher