Dead Man's Song
kam er sich während der Weihnachtszeit seltsam fehl am Platze vor. Vergiß den euphemistischen Chanukahbusch, den er und Sarah für die Kinder aufgestellt hatten, als sie noch klein waren und an den Weihnachtsmann glaubten. Vergiß die Geschenke und die Grußkarten, die man einander schickte. Sosehr er sich auch bemühte, sich einzureden, daß die Zeit weniger mit Religion als damit zu tun hatte, daß die Menschen besonders nett zueinander waren, konnte er jedoch nie die Erkenntnis verdrängen, daß dies nicht sein Fest war. Er hatte einmal Carella und seine Familie zu einem Seder eingeladen, und Carella hatte später zugegeben, daß er sich seltsam fehl am Platze vorgekommen war, obgleich Meyer die traditionelle Zeremonie in Englisch abgehalten hatte. Carella würde Meyer sofort in seinem Keller verstecken und gegen tausend Nazis kämpfen, wenn sie versuchen sollten, seine Tür aufzubrechen. Carella würde jedem den Schädel einschlagen, der auch nur die Andeutung einer abfälligen Bemerkung über Meyer machen würde. Carella würde Meyer mit seiner Ehre und seinem Leben verteidigen. Aber er war sich seltsam vorgekommen, als er mit ihm das Passahfest beging. Ein Gradmesser für die Intensität ihrer Freundschaft war die Tatsache, daß er fähig gewesen war, das einzugestehen.
Auf ähnliche Weise hatte Meyer einmal von Carella wissen wollen, ob all seine Weihnachtskarten »Frohes Fest« oder »Frohe Feiertage« oder ähnlich lauteten oder ob dies nur die Karten waren, die er jedes Jahr an Meyer und andere jüdische Freunde verschickte. Verschickte Carella auch Karten, auf denen »Frohe Weihnachten« stand? Und wenn ja, wollte er Meyers Gefühle schonen, indem er ihm nur allgemein gehaltene Wünsche schickte? Carella erklärte ihm, all seine Karten wären ähnlich antiseptisch, denn er würde im Dezember nicht die Geburt Christi feiern, sondern den Frieden, von dem er hoffte, daß er die Weihnachtszeit überdauerte - eine Sicht, die, wie er annahm, eine Flut von Briefen von Leuten auslösen würde, die er nicht kannte. Meyer sagte: »Na warte, ich werde dir einen Brief schreiben, du Heide!«
Derart ermutigt, begann Carella laut darüber nachzudenken, weshalb er überhaupt Weihnachtskarten verschickte, da er in seinem tiefsten Herzen wußte, daß Weihnachten - zumindest in Amerika - nichts anderes war als ein kommerzielles Fest, ins Leben gerufen von Kaufleuten, die ihre Verluste wettmachen wollten, die sie im Laufe des Jahres eingefahren hatten. Meyer fragte ihn, ob er das Wort »Kaufleute« vielleicht mit antisemitischer Absicht benutzte, und Carella fragte: »Was ist antisemitisch?« Woraufhin Meyer erwiderte: »In diesem Fall möchte ich dich daran erinnern, daß White Christmas von einem Juden geschrieben wurde.« Carella sagte: »Giuseppe Verdi war ein Jude?« Derart ermutigt sagte Meyer: »A Rose in Spanish Harlem auch.« Dann waren beide Männer losgezogen und hatten ausgiebig auf Mohammed und Buddha angestoßen.
Das lag zu viele Weihnachten zurück.
Dieses Jahr empfanden sie eine Schuld, die mit dem zu tun hatte, was sie als die hohe Pflicht ansahen, zu helfen und zu schützen. Ein einsamer Mann hatte sich mit jemandem angefreundet, der ihn später betäubt und erhängt hatte. Eine neunzehnjährige schwarze Amateurnutte war auf die gleiche Weise betäubt und dann erstochen worden, höchstwahrscheinlich von derselben Person, die den alten Mann getötet hatte. Diese Person hielt sich entweder noch immer in dieser Stadt oder in Houston, Texas, oder Gott weiß wo auf. Dabei könnte der Kerl selbst längst tot sein, ermordet von einer betrogenen Nutte oder einem wütenden Liebhaber. Bis sie sichere Erkenntnisse hatten, galten beide Fälle als offen, weder gelöst noch in Bearbeitung, genauso wie der Mord an Danny Nelson.
Aber dann, am letzten Tag des November, schlug Carella die Morgenzeitung auf.
Der Artikel hatte die Überschrift »Jenny Redux«.
Norman Zimmer, dessen »Tea Time« nach 730 Vorstellungen immer noch läuft, hat den Erwerb der Rechte an »Jennys Zimmer« bekanntgegeben, einem Musical, das er im nächsten Herbst neu herausbringen will.
»Die Vorsprechproben beginnen diese Woche«, erklärte er, »und der Probenbeginn ist für den Frühling angesetzt. Wir rechnen mit einem Probelauf in L. A. Ende Juni, Anfang Juli.« Mr. Zimmer fügte hinzu, daß bereits Verhandlungen mit einem weiblichen Topstar begonnen hätten, dessen Namen er jedoch nicht bekanntgeben wolle.
Wie einige sich
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