Dead Man's Song
den Fernsehnachrichten statt, wann immer die Videobänder versteckter Überwachungskameras vorgeführt wurden. In den Fünf-Uhr-Nachrichten an diesem Montag wurden zum ersten Mal die Überwachungsbänder aus den Kameras der Pizzeria ausgestrahlt. Sie zeigten in voller Pracht die beiden dreisten Scharfschützen, die in das Lokal gerannt kamen und um sich schossen. Danny Nelsons Mörder waren vorwiegend auf Grund ihrer Rasse identifizierbar, aber ansonsten für niemanden zu erkennen, der sie nicht schon länger persönlich kannte. Auf jeden Fall meldete sich niemand.
In einem brillanten Publicity-Schachzug lobte Restaurant Affiliates, Inc. - die Firma, der Guido’s Pizzakette gehörte - eine Belohnung von fünfzigtausend Dollar für jede Information aus, die zur Verhaftung und Verurteilung der beiden Schützen führte, die den Betrieb auf der Culver Avenue demoliert hatten. Daß RA, Inc. viel mehr an den Schäden in ihrem Etablissement interessiert war als am Ableben von Danny Gimp, lief unbeachtet an den Fernsehzuschauern und Zeitungslesern vorbei. Informanten waren nun mal der Abschaum der Welt, legte die Kampagne nahe, aber öffentliche Plätze sollten nicht als Schauplätze brutaler Gewalt mißbraucht werden. Indem Pizzarestaurants mit Hobbysportanlagen und Gebetshäusern in Verbindung gebracht wurden, forderten TV-Spots und Zeitungsanzeigen die schnelle Identifikation der Schuldigen und eine strengere Waffenkontrolle in dieser großen und wilden Nation. In Zusammenarbeit mit der Polizei wurde ein Telefonanschluß mit einer 800er-Nummer geschaltet und jedem Anrufer absolute Vertraulichkeit zugesichert. Ein Zeitungskommentator meinte, daß Charlton Heston in Zukunft auf den Verzehr von Pizza verzichten würde, und zwar zugunsten eines japanischen Gerichts namens Shogun Sushi, eine müde Anspielung auf den Begriff »Shotgun«, aber das erschien nur in der Nachmittagsausgabe der Zeitung. Die Kolumne rief bei den Managern von RA, Inc. allgemeine Heiterkeit hervor.
Und noch immer meldete sich niemand.
Innerhalb von etwas mehr als drei Wochen versank der Danny-Gimp-Fall bei abnehmendem Medieninteresse im Orkus des Vergessens.
Der Thanksgiving Day schien nur noch eine vage Erinnerung zu sein.
5
Er hatte zuviel getrunken und sich mit seinem Onkel Dominick zu laut darüber gestritten, an welchem Ort in der Welt gerade wieder ein Krieg im Gange war. Sein Onkel hatte immer die Meinung vertreten: »Bomben wir die Scheiße aus ihnen heraus!« Carella kannte diese Worte von ihm, seit er alt genug war, um sie zu verstehen, und seine Mutter hatte immer abzuwiegeln versucht: »Dom, die Kinder!« Aber das hatte Onkel Dominick nie gebremst. Er sah aus wie ein Vollstrecker der Mafia, und er hätte - was Carella sich dachte, aber nie erfragt hatte - in seinen jüngeren Jahren genau das gewesen sein können.
Sie waren an diesem Tag gegen neun Uhr abends nach Riverhead zurückgekehrt, und die Zwillinge hatten sie daran erinnert - als hätten sie eigens daran erinnert werden müssen -, daß am nächsten Tag keine Schule war. Also hatten sie ihnen erlaubt, wegen einer Sondersendung zum Thanksgiving auf NBC länger aufzubleiben. Carella ärgerte sich noch immer über seinen dickschädeligen Onkel, und Teddy teilte ihm mit Fingerzeichen mit, daß er duschen sollte, ehe er zu Bett ging, denn morgen sei ein neuer Tag, und er habe kein schulfrei. Außerdem würde in dieser jämmerlichen Welt immer irgendwo Krieg sein, und es gab mehr Leute als genug, aus denen man die S-C-H-E-I-S-S-E herausbomben müsse, wobei sie das Wort mit den Fingern Buchstabe für Buchstabe buchstabierte, damit Carella nicht entging, daß er anfing, ihr auf die Nerven zu gehen. Naß und zerknirscht kam er aus der Dusche, und außerdem mußte er dringend zum Friseur, was sie vorher nicht bemerkt hatte.
Er sagte nichts zu ihr, bis auch sie ihr Nachthemd trug, ein langes Flanellgewand, denn trotz achtzehn Grad Innentemperatur war das alte Haus in dieser feuchten Novembernacht kalt und zugig. Das dunkle Haar hatte sie gelöst, und sie hatte eine Feuchtigkeitscreme aufgelegt, von der sie behauptete, sie würde nicht fetten. Er hingegen war davon überzeugt, daß sie aus Gänsetalg hergestellt wurde. Sie schlug die Decke zurück und schlüpfte ins Bett. Dann streckte sie die Hand aus, um das Licht auszuknipsen, doch seine hektisch flatternden Finger erregten ihre Aufmerksamkeit.
»Es tut mir leid«, sagte er, aber sie hatte sich halb von ihm abgewandt, und ihr
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