Dead Man's Song
Browns Blicke streiften durch den Raum. Desgleichen Carellas.
Fast jeder in diesem Raum hätte Andrew Haie töten können.
Es war unmöglich, daß die Detectives, die den Mordfall unten in Hopscotch bearbeiteten, diesen mit den Morden weiter außerhalb in Verbindung bringen konnten. Unmöglich. Das erste Opfer dort war ein achtundsechzigjähriger Weißer gewesen, der an einem Türhaken erhängt und danach ins Bett gelegt worden waren. Das zweite Opfer war eine neunzehnjährige Schwarze gewesen, die mit einem Messer aus ihrer eigenen Küche erstochen worden war. Die vorherige Einnahme von Rohypnol war das einzige Bindeglied zwischen ihnen - falls es überhaupt ein Bindeglied war und keiner von den Zufällen, wie sie immer wieder die Polizeiarbeit erschwerten.
Außer in Romanen hatten die Cops dieser Stadt es nur höchst selten mit Serienmördern zu tun. Serienmörder in Romanen waren heutzutage ungemein populär, aber das hieß nicht, daß sie überall in den Vereinigten Staaten Amok liefen. Kürzlich durchgeführte Untersuchungen bestätigten, daß nur fünfundfünfzig oder fünfzig von ihnen irgendwo da draußen herumschlichen. Damit ein Mörder sich als echter Serienmörder qualifizierte, mußte er innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne drei oder mehr Menschen umgebracht haben. Andererseits war ein Serienmörder nicht jemand, der Onkel George tötete und zwei Tage später die Cousinen Mandy und Maude, weil sie ihn beim Begehen des ersten Mordes beobachtet hatten. Das war lediglich ein besonders vorsichtiger Mörder.
Die Cops in dieser Stadt untersuchten jährlich rund zweitausend Morde. Selbst wenn die Detectives, die den Notruf aufgenommen hatten, eine Verbindung zwischen dem Haie-Mord, dem Cleary-Mord und diesem neuen Mord vermutet hätten, wären sie nicht zu der Schlußfolgerung gelangt, daß ein rasender Serienmörder in der Stadt unterwegs war. Die Detectives, die den Ruf am frühen Montag morgen aufnahmen, hatten vielleicht über das Fernsehen von dem Haie-Mord erfahren, aber sie hatten ganz bestimmt keine Ahnung von dem Mord an einem harmlosen kleinen schwarzen Mädchen in Diamondback. Daher kam es ihnen ganz einfach nicht in den Sinn, daß dieser neue Mord irgendwie mit den vorangegangenen beiden Morden, ganz gleich ob als Serie oder anders verübt, in Verbindung stand.
Laut einer Geburtsurkunde, die sie in einer Zuckerdose in der obersten Schublade ihrer Schlafzimmerkommode fanden, lautete der Name des Opfers Martha Coleridge, und sie war achtundneuzig Jahre alt geworden. Sie war ein kleines, vogelähnliches Wesen und lag in ihrem Nachthemd am Fußende des Bettes. Offensichtlich war ihr Genick gebrochen. Die Detectives, ein erfahrener First namens Bryan Shanahan und ein neu zugeteilter Third namens Jefferson Long, durchsuchten die Habseligkeiten der Lady, blätterten in vergilbten Briefen und Tagebüchern, wohl wissend, daß sie in all dem Zeug keinen Hinweis finden würden, aber sie hielten trotzdem an der Routine fest. So wie sie es sahen, war irgendein Junkie eingestiegen, hatte das Haushaltsgeld der alten Dame gestohlen und ihr dann noch schnell das Genick gebrochen. Sie gingen ihre uralten Papiere durch, verteilten sie auf dem Bett, während der Leichenbeschauer die Tote untersuchte. Sie fanden einen blauen Klemmbinder mit einem maschinenbeschriebenen Etikett darauf. Zu lesen war:
M ein Z immer
V on M artha C oleridge
Was sich in dem Klemmbinder befand, sah aus wie ein Theaterstück. Dann legten sie den Binder zu den anderen Funden aufs Bett.
Reverend Gabriel Fosters Interesse an dem Fall weckte eigentlich die Tatsache, daß der weiße Verdächtige auf Kaution freigelassen worden war, während seinem schwarzen Partner die Freilassung auf Kaution verweigert worden war und er ins Untersuchungsgefängnis für Männer eingeliefert wurde. Dasselbe Verbrechen, derselbe Richter, zwei Schützen, einer weiß, einer schwarz, unterschiedliche Beurteilung.
Das war das erste, aber es reichte nicht aus, um ihn auf die Straße zu schicken, denn was er hier spürte, war eine Veränderung der öffentlichen Stimmung. Waren Maxwell Corey Blaine und Hector Milagros anfangs behandelt worden wie Nationalhelden, weil sie das schlimmste aller menschlichen Wesen, den Informanten, beseitigt hatten, wurden sie nun als Monster oder Schlimmeres an den Pranger gestellt, weil ein zweiter Informant - nun ein Liebling der Medien und so etwas wie ein Instantheld - gegen eine beträchtliche Belohnung den
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