DEAD SHOT
eine Lüge aufgetischt wurde, aber er hielt sich zurück.
»Swanson empfiehlt, dass Sie den Vormarsch noch etwas hinauszögern und dann einen Scheinangriff einleiten. Wenn die ersten Panzer in den Randbezirken auftauchen, ziehen sie die Aufmerksamkeit der Aufständischen auf sich. Die Zeit nutzen Swanson und Summers, um weiter nach Juba zu suchen.«
Der Colonel warf seinem Stellvertreter einen Blick zu und runzelte die Stirn. »Gottverdammt. Okay, machen wir’s so.«
Die Morgendämmerung spannte sich über die stille Stadt. In den Straßen war niemand, die Läden waren geschlossen; auch der letzte Bewohner hatte das Weite gesucht. Auf dem Dach der Zentrale standen der Kommandant der Aufständischen und Juba und beobachteten, was sich dort am Stadtrand zusammenbraute.
»Dort kommen sie!«, sagte der Kommandant. »Ihr Handeln ist ja so vorhersagbar.« Der Boden erzitterte, als sich die mächtige Kolonne aus gepanzerten Fahrzeugen der Stadt näherte. Aufgewirbelter Sand hüllte die Streitmacht ein. Die riesigen Abrams-Panzer scherten aus der Kolonne aus und brauchten eine Weile, bis sie sich in einer langen Reihe positioniert hatten. Derweil bezogen die Bradley-Schützenpanzer dahinter in V-Formation Stellung. Am westlichen Himmel tauchten Apache-Hubschrauber auf, gingen kurzzeitig tiefer, blieben dann aber in sicherer Entfernung. Hinter all den Fahrzeugen marschierte die Infanterie, beinah wie in einer Paradeformation. Die Task Force war unterwegs.
»Ist es das, was du wolltest?«, fragte Juba. »Glaubst du wirklich, du kannst die aufhalten?«
»Ich habe nicht die Absicht, sie aufzuhalten, mein Freund. Lass sie nur kommen. Ich will, dass sie sich auf den Weg machen, um ihre Toten zu bergen. Unsere Kämpfer dort unten werden die Amerikaner unter Beschuss nehmen und zu den beiden Häusern locken. Sobald die Soldaten die Gebäude stürmen, lassen wir alles in die Luft gehen. Das wird ein großer Sieg, gepriesen sei Allah.«
Doch der militärisch geschulte Scharfschütze sah Dinge, die dem Kommandanten entgingen. Denn der ganze Aufmarsch dorthinten am Stadtrand diente nur einem Zweck: Die Amerikaner schlugen bloß Lärm. Normalerweise beherrschten die perfekt ausgebildeten Panzerfahrer die Maschinen wie im Schlaf. Und auf einmal benötigten sie eine halbe Ewigkeit, bis sie die verfluchten Kisten in Position gebracht hatten? Eher unwahrscheinlich. Und was hatte es mit den Infanteristen auf sich, die sich in altmodischer Weise für einen Angriff formierten? Juba spürte ein Kribbeln am Körper und hatte das Gefühl, von einem eisigen Hauch erfasst zu werden. Da hatte Swanson seine Finger mit im Spiel.
»Bingo«, meinte Kyle. »Ich sehe den Spotter. Oben auf dem Dach des Hauses, fünf Türen die Straße dorthinunter.«
Sybelle spähte durch das Zielfernrohr ihres Gewehrs und sah, wie sich das Sonnenlicht in den Linsen eines Feldstechers brach. »Stimmt. Von dort oben hat er eine gute Sicht und ist sicher.«
»Genau. Schnappen wir ihn uns.«
Sie eilten aus ihrem Versteck im hinteren Bereich eines verlassenen Hauses und schlichen im Schutz der Häuser weiter. Die Straßen kamen ihnen wie eine Filmkulisse vor. Jede Menge leere Häuser und gespenstische Stille. Doch sie ließen sich Zeit und bewegten sich nur äußerst vorsichtig vorwärts: anhalten, beobachten, abschätzen, und weiter.
Das betreffende Gebäude bestand aus drei Stockwerken. Es neigte sich ein wenig nach rechts; der Mörtel war vor dem Trocknen aus den Fugen der Steine gequollen. Im Erdgeschoss befand sich ein Laden, darüber vermutete Kyle Wohnungen. Geschlagene zehn Minuten warteten sie schweigend und achteten auf die noch so kleinste Bewegung.
»Da muss irgendwo ein Wachposten sein«, flüsterte Kyle. »Ich kann ihn nur nicht sehen.«
Sybelle reichte ihm ihr Gewehr, rückte ihre Kleidung zurecht, band sich das Tuch wieder um die Haare und bedeckte ihr Gesicht mit einem Schleier. Dann stand sie auf und ging an der langen Hauswand entlang. Mutig betrat sie das Gebäude.
Der Wachposten saß auf einem Stuhl an der hinteren Wand des Ladens und hatte das AK-47 auf dem Schoß liegen. Verblüfft bemerkte er Sybelle, deren Umrisse sich in der Tür abzeichneten, und brüllte: »Weib, was hast du hier zu …«
Sybelle ließ ihn gar nicht erst ausreden, zog die Pistole unter ihrem Gewand hervor und schoss dem Mann zweimal ins Gesicht. Beim zweiten gedämpften Schuss war Kyle bereits im Haus. Schnell schauten sie sich in dem vollgestopften Laden um,
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