DEAD SHOT
Leichnam.
»Sie werden uns aber wieder verfolgen.«
»Nein, ich denke, sie werden ein Kunde von uns. Dieser Tote hier zeigt ihnen, dass die Formel immer noch der Unit 999 gehört und sonst niemandem. Wir brauchten zwanzig Jahre für die Entwicklung und mussten unsere Forschung immer wieder gegenüber Fremden verteidigen. Jetzt, da wir so kurz vor dem Durchbruch stehen, darf uns niemand mehr in die Quere kommen.«
Juba wusch sich die Hände im Spülbecken der Küche. »Ich kümmere mich um diesen hier. Unsere Leute beseitigen die beiden Wachen draußen.«
»Sehr gut, mein Sohn.« Saladin schenkte sich starken Kaffee nach. »Deine Aufgabe in London hast du meisterhaft gelöst, aber ich habe ja auch nichts anderes von dir erwartet. Kann die Ankündigung schon verbreitet werden?«
»Ja. Die Bilder, die ich in London geschossen habe, sind längst auf CD gebrannt und wurden mit deiner Botschaft als Päckchen bei FedEx aufgegeben. Und zwar nach Nordkorea, China, Brunei und Teheran. Da es sich bei den Sendungen um Einschreiben handelt, müssen sie in jedem Fall von jemandem in Empfang genommen werden.«
»Das wäre also geschafft. Aus dieser Saat wird sich die Botschaft verbreiten. Jetzt können wir warten.«
»Du kannst warten, mein Vater. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich werde mich erst entspannen, wenn alles vorüber ist.«
»Wärst du lieber wieder im Irak bei deinen Schießübungen?«, neckte Saladin seinen Todesschützen.
»Nein. Paris gefällt mir besser. Schade, dass ich nicht länger bleiben kann. Gern würde ich einige Tage ausspannen, dir als gläubiger Muslim zu Füßen sitzen und den Koran studieren. Körperlich fühle ich mich fit, aber geistig bin ich ausgelaugt. Meine Rolle ist eben schwierig.«
»Deshalb bist du ja auch der Einzige, der dieser Rolle gewachsen ist«, meinte Saladin. »Ich verspreche dir, dass du dich in naher Zukunft zwanglos als Gläubiger bewegen kannst und dich sogar auf den Hadsch begeben wirst nach Mekka und Medina. Doch im Augenblick musst du der bleiben, der du bist. Der Prophet hat dich mit einer besonderen Begabung gesegnet, Juba. Ich weiß um deinen inneren Widerstreit und bete jeden Tag für dich. Du musst weitermachen, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Das weißt du.«
»Ja. Ich bin ein Werkzeug des Propheten. Zeige mir den Pfad, und ich werde ihm folgen. Aber noch heute Abend reise ich wieder in den Iran, um einem letzten Test beizuwohnen. Der Direktor unseres Labors dort glaubt, dass unsere Formel perfekt sein wird, sobald die letzten Änderungen die Wirkung des Gels verbessern. In London hat sich das Gas noch zu schnell verflüchtigt.«
Saladin lachte, um dem ernsten Tonfall mit etwas heiterer Gelassenheit zu begegnen. »Gut. Noch nie waren wir unserem Ziel so nah. Sobald du diesen Abschaum hier beseitigt hast, werden wir uns vor deiner Abreise noch Zeit für ein schönes Abendessen nehmen.«
Juba öffnete die Tür und winkte zwei Männer herein, die bei der Beseitigung der Leichen helfen sollten. Die Sonne verschwand am Horizont, und die Lichter von Paris erleuchteten den Abendhimmel. Saladin stand am Fenster und spürte, wie sich der Rhythmus der großen Stadt veränderte: Tagsüber war Paris das Zentrum der Wirtschaft und des Handels, abends und in der Nacht wurde daraus ein Ort, der individuellen Vergnügungen Raum bot. Saladin mochte dieses Haus und beschloss, eine Weile hierzubleiben.
Er hörte, wie die Männer die Leiche fortschafften, schaute jedoch nicht hin. Der El-Kaida-Tölpel hatte tatsächlich geglaubt, man könne eine islamische Regierung in Paris einsetzen. Zwar stimmte es, dass in Frankreich mehr Muslime lebten als in allen anderen westlichen Nationen, aber bei insgesamt vierundsechzigtausend Franzosen machte diese Glaubensgemeinschaft immer noch weniger als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Aseer hatte offenbar geglaubt, er befehlige eine deutsche Armee. Wie begrenzt doch El Kaidas Horizont war!
Wenn Saladin an jenem Abend ein Problem hatte, dann war es die Erkenntnis, dass er noch beträchtlich mehr Energie für seinen Schützling würde aufwenden müssen. Juba zuckte nicht mit der Wimper, wenn es darum ging, einen Anschlag zu verüben, bei dem die Zahl der Opfer nicht abzuschätzen war und die Menschen zu einem qualvollen Tod verdammt wurden. Einen solchen Mann musste man sehr genau im Auge behalten.
Saladin fragte sich, ob Juba je in den Spiegel schaute oder sich Gedanken darüber machte, was für ein tödliches Paradoxon
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