DEAD SHOT
»Warum hat der Wissenschaftler, der in Bagdad erschossen wurde, diese Anlage dann erwähnt?«
Kyle suchte sein Gepäck zusammen. »Das müsst ihr vom Geheimdienst klären. Vielleicht kann die junge Frau, die wir mitbrachten, Licht ins Dunkel bringen. Ich vermute, dass der Wissenschaftler ahnte, dass alles, was mit der Anlage zu tun hatte, vernichtet werden sollte. Und das schloss auch ihn mit ein. Deshalb ist er geflohen. Er war nur einfach nicht schnell genug.«
Kapitel neun
Paris
D ichte Kletterpflanzen hatten sich wie dicke Taue um die Gitterstäbe eines großen schmiedeeisernen Tors gewunden, das seit nunmehr fast zehn Jahren in einer ruhigen Straße des 19. Arrondissements Tag und Nacht offen gestanden hatte. Der Besitzer des Hauses war es einfach leid gewesen, das Tor öffnen und schließen zu müssen. Trotz der Alarmsysteme kletterten Diebe über die Mauern. Warum sollte er sich da um das Tor kümmern? Schließlich hatte das Haus den Besitzer gewechselt, doch es gab immer noch keinen Anlass, das Tor zu schließen, denn plötzlich wurde das Gelände scharf bewacht. Schnell sprach sich bei den Straßenräubern von Paris herum, dass man sich fortan Ziele vornehmen sollte, bei denen man nicht sein Leben verlor. Jetzt gehörte das Haus zu El Kaida.
Die Nachbarschaft im nordöstlichen Viertel von Paris veränderte sich unaufhaltsam zu einem Zentrum der gehobenen Klasse, aber in dem multikulturellen Erbe war die Vergangenheit immer noch lebendig. Die unterschiedlichsten Düfte fremdländischer Speisen und Gewürze wehten von einem Restaurant durch die Straße, und auf den Gehwegen tummelten sich Menschen aus aller Herren Länder. Juba war da nur einer von vielen.
Im Schatten der Efeuranken am Tor betrat er den alten Vorhof und nahm in dem Geruch von den Beeten eine Mischung aus Blumenduft und Fäulnis wahr. Die Betonplatten der Parkfläche waren uneben und durch jahrzehntelange Verschiebungen im Erdreich übereinandergedrückt worden. Ein cremefarbener Mercedes stand dort. Mit einer Hand strich Juba über die Motorhaube, als er an dem Fahrzeug vorüberging. Das Blech fühlte sich noch warm an, der Wagen war also erst vor Kurzem abgestellt worden. Vermutlich hatte sich Saladin zu dem Treffen bringen lassen, das in dem dreistöckigen Haus stattfinden sollte.
Ein sichtlich nervöser junger Mann mit zerzauster Frisur und einem schmalen, hyänenartigen Gesicht löste sich aus dem Schatten am Fuß der großen Treppe und gab Juba zu verstehen, er solle stehen bleiben. Widerstandslos nahm Juba beide Arme hoch, ließ dann die linke Hand langsam sinken und öffnete sein Sportsakko von Prada gerade so weit, dass der Wächter die Pistole in dem Halfter sehen konnte, den Juba links oberhalb der Hüfte trug. Die Augen des jungen Mannes huschten zu der Waffe, die einkassiert werden musste, wenn der Besucher eintreten wollte. Juba öffnete die Jacke bereitwillig etwas weiter und lenkte dadurch die Aufmerksamkeit des Mannes vom rechten Arm ab, den Juba nun unbemerkt in die Höhe streckte. Als der Ellbogen ganz durchgestreckt war, wurde ein Mechanismus an Jubas Unterarm ausgelöst, der Juba eine kleine Ruger mit Schalldämpfer in die Hand spielte. Aus einer Entfernung von nur einem Meter schoss er dem herannahenden Wächter zwei Mal in den Kopf. Blut und Hirnmasse spritzten auf die Pflastersteine. Juba packte den blutigen Leichnam beim Hemdkragen und zerrte ihn in den kühlen, dunklen Raum unterhalb des Treppenaufgangs.
Dann überprüfte er seine Kleidung, damit keine Blutspritzer zu sehen waren, eilte die steile, gewundene Treppe hinauf und machte genügend Lärm, damit der zweite Bodyguard wusste, dass jemand kam. Seine Schuhe erzeugten einen gleichmäßigen Rhythmus auf den alten Steinen, die eine Putzfrau noch am Morgen geschrubbt hatte. Als Juba sich dem oberen Treppenabsatz näherte, hielt er die Waffe seitlich am Körper verborgen. Absichtlich keuchte er ein wenig und rief dem Wachposten auf Französisch zu: »Ganz schön langer Weg.« Dieser Mann war größer und stand mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihm. Er schien jedoch eher aus Fett als aus Muskelmasse zu bestehen. Dichte Brauen, die sich fast über der Nasenwurzel berührten, zogen sich über beide Augen. Im Sonnenlicht blitzten ein paar Goldzähne auf, als der Kerl ein schiefes Grinsen aufsetzte. Eine gezackte Narbe lief über seine Stirn. Er war aber nicht beunruhigt, da er glaubte, der Besucher sei bereits von dem Kollegen unten an der Treppe gefilzt
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