Deadline 24
Sally fassungslos. »Die sind doch tot. Die Hybride haben sie gefressen.«
»Schön wär’s«, gab Monnia trocken zurück. »Vielleicht haben die Hybride einige von ihnen gefressen, vielleicht sogar die meisten. Aber nicht alle. Erinnerst du dich noch, wie du einen Pfosten gesehen hast, kurz bevor du ohnmächtig wurdest?«
Sally nickte. Jetzt war ihr klar, weshalb ihr der Pfosten so merkwürdig vorgekommen war, sie hatte schon einmal einen Gorgon gesehen, auf Vaters flüsterndem Tuch. Auch eine Spuckviper war darauf abgebildet. Das waren große, dicke Schlangen, die ihre gedrungenen Leiber gerne in Sand oder lockeres Erdreich wühlten, um auf ihre Opfer zu lauern. Hatte jemand das Pech, in ihre Nähe zu kommen, sprangen sie kreischend hervor, mit grässlich aufgestellten Hauben und weit aufgerissenen Mäulern, aus denen sie spuckten wie Geysire. Ihr Speichel machte blind, taub, verätzte in Sekundenschnelle die Atemwege. Danach kamen die Gorgonen, ihre Herren, sammelten die wehrlosen Opfer ein und trugen sie fort. Was sie mit ihnen anstellten, wusste man nicht. Nie war jemand zurückgekommen, der darüber hätte berichten können. Doch das, so glaubte man, war alles längst vorbei. Hybride hatten beide Spezies vernichtet, erst die Gorgonen, weil sie schwerfällig und leichter zu jagen waren, dann die Spuckvipern. Ein Irrtum, wie die Mädchen jetzt wussten, ein fataler Irrtum vielleicht, nicht nur für sie drei, für alle Bewohner des Ödlandes. Wenn es den Gorgonen und ihren Vipern gelungen war, ihre Lebensweise zu ändern, wenn sie sich nun tagsüber verkrochen und nachts hervorkamen, war niemand mehr sicher, nie.
»Können sie hier reinkommen?«, fragte sie panisch.
»Keine Sorge«, beruhigte Monnia sie. »Jetzt ist heller Tag. Sie müssten ein gutes Stück klettern, um diese Röhre zu erreichen. Vermutlich würden sie nicht mal die halbe Strecke schaffen, bevor die Hybride sie erwischten.«
»Und wenn es dunkel wird?«
Monnia wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich hab immer wieder gehört, dass sie dumm sind. Stark, grausam, gnadenlos, aber langsam und dumm. Ich glaube, die würden nie rauskriegen, wie man so einen Ventilator öffnet. Gestern Nacht haben sie es jedenfalls nicht mal versucht.«
»Die haben bloß dagestanden und geglotzt«, bestätigte Carlita.
Monnia schauderte bei der Erinnerung. »Sie sahen wie Pfosten aus, wie schwarze, große Holz- oder Eisenpfosten. Wir haben sie nicht weiter beachtet, waren einfach nur froh, dass wir diese Röhre als Unterschlupf gefunden hatten. Wir sind ziemlich oft hin- und hergeflogen, haben Wasser und Bananen geholt. Und die ganze Zeit über standen diese Pfosten im Flussbett! Von den Spuckvipern war überhaupt nichts zu sehen, bestimmt hatten sie sich irgendwo eingegraben. Dann wollten wir die Schweber mit Wasser säubern, weil die total verdreckt sind, voll ekliger Hybridenkacke, da haben sie zu kreischen begonnen. O Gott, wie die gekreischt haben! Sei froh, dass du ohnmächtig warst.«
»Sie hockten auf dem weißen Kies im Flussbett«, fuhr Carlita fort, »mit grässlich aufgestellten Hauben, sie haben ihre Mäuler aufgerissen und ihre ätzende Spucke gespritzt, aber zum Glück waren sie zu weit entfernt, die Spucke konnte uns nicht erreichen.«
»Und dann?«, fragte Sally atemlos.
»Dann haben sich die Pfosten bewegt«, erzählte Monnia weiter. »Erst wenn sie sich bewegen, sehen sie menschenähnlich aus. Man erkennt Arme und Beine und so eine Art Kopf.«
»Hattet ihr Angst?«
»Wir haben uns fast in die Hosen gemacht«, brummte Monnia.
Carlita nickte kläglich. »Aber die Gorgonen sind nicht näher gekommen. Sie haben bloß herauf zu uns geglotzt und mit den Füßen gestampft. Da waren die Spuckvipern wieder still. Wir haben uns dann sofort in der Röhre verkrochen. Später, als wir uns getraut haben, ganz vorsichtig rauszugucken, waren sie verschwunden. Bestimmt sind sie in einer Höhle oder in einem Erdloch. Sie hocken da, verstecken sich vor den Hybriden und lauschen auf uns. Immer wenn wir laut werden, kreischen die Spuckvipern und die Gorgonen bringen sie zum Schweigen. Man könnte fast glauben, sie hätten Angst vor uns.«
»Vielleicht haben sie das ja«, sagte Sally nachdenklich.
»Warum sollten sie?«
»Wegen des Gestanks. Unsere Schweber sind voller Hybridendreck, unsere Kleidung auch. Bestimmt stinken wir wie hundert von diesen Monstern. Wir riechen es nicht mehr, die aber wohl. Sie wissen nicht genau, was sie von uns halten sollen,
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