Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
ihr Kind zurück.
Bitte, bitte, ihm darf nichts zustoßen. Ich muss ihn finden, betete sie stumm und ging zurück in die Küche, den Blick von Tanyas Leiche abgewandt. Durch die offene Schiebeglastür sah sie Jack draußen in dem kleinen Garten, in dem ein verrosteter Grill und ein Kübel mit verwelkten Blumen vom Vorjahr standen. Regen rauschte vom Himmel. Doch ein Kind war nirgends zu sehen.
Cissy schluckte ihre Angst hinunter. Derjenige, der Tanya umgebracht hatte, würde doch Beejay nicht mitnehmen. Würde ihm nichts zuleide tun. Das würde doch keinen Sinn ergeben.
Oder?
Kälte, schwarz wie die Nacht, umfing ihre Seele.
Mit kantigem Kinn und angespannter Miene kam Jack zurück in die Wohnung und schüttelte den Kopf. »Ich habe nach ihrem Wagen gesehen. Nicht abgeschlossen. Nichts.«
»Er muss doch hier sein«, sagte sie, als wollte sie sich selbst überzeugen. »Er muss einfach.« Entschlossen, ihr Kind zu finden, riss sie die Tür zur Vorratskammer auf. Die Regale waren vollgestopft mit Besen, Reinigungsmitteln, Handtüchern und einigen Konserven.
Jack packte sie an der Schulter, als sie in die leere Kammer starrte. »Er ist nicht hier.«
Ihre Knie wurden weich. »O nein«, flüsterte sie fassungslos.
Die Welt begann sich um sie zu drehen. Wie hatte sie zulassen können, dass selbst ihr Sohn in diesen grauenhaften Alptraum hineingezogen wurde? Wie hatte sie zulassen können, dass er in Gefahr geriet? Wenn Beejay etwas zustieß … O Gott, so durfte, wollte sie nicht denken. »Wir müssen ihn finden!« Wo? Herr im Himmel, wo war er? Cissy konnte nicht atmen, konnte über das panische Hämmern ihres Herzens hinweg kaum etwas hören.
Jack zog sie an sich und flüsterte an ihrem Ohr: »Wir finden ihn, Ciss. Ich verspreche es dir.«
Wut und Hilflosigkeit überwältigten sie. »Wie konntest du Beejay mit Tanya gehen lassen?«, wollte Cissy wissen. Bereit, alles kurz und klein zu schlagen, irgendwem die Schuld zu geben, fiel sie über Jack her.
Er fuhr zusammen. »Nicht, Cissy. Nicht jetzt.«
»Aber ich habe dich gewarnt. Ich habe dir gesagt, dass sie … dass sie …«
»Du hast gesagt, dass du ihr vertraust«, erinnerte er sie und schlug sie mit ihren eigenen Waffen.
»Oh«, flüsterte sie mit ersterbender Stimme. »Ich habe solche Angst. Solche Angst um Beejay.« Innerlich war ihr eiskalt, aber ihr war klar, dass Jack recht hatte. Beejay war verschwunden, vermutlich befand er sich in der Gewalt der Person, die Tanya ermordet hatte. Schreckliche Vorstellungen von ihrem verängstigten Kind – unter Schmerzen, in Panik, verloren und einsam – schossen ihr durch den Kopf. Er würde nach ihr suchen, aber sie wäre nicht da. Tränen stürzten aus ihren Augen. Kalte, angstvolle Gewissheit hatte sie im Griff, als Jack sie ins Wohnzimmer führte.
»Wir finden ihn. Ihm wird nichts geschehen. Daran musst du glauben. Okay, Cissy?«
Sie nickte, entschlossen, stark zu sein.
»Haben Sie die Polizei gerufen?«, wollte Jack mit einem finsteren Blick auf die Nachbarin wissen, die gerade zurückkam.
»Ich …« Sie schüttelte den Kopf.
»Ach, um Himmels willen!« Jack griff nach seinem Handy und gab die Nummer ein.
Cissy warf einen Blick auf Tanyas Leiche, die in einer Blutlache auf dem Teppich lag. Es war ihre zweite Leiche in nur einem Monat. Und diese war der ihrer Großmutter so ähnlich. Cissys Magen revoltierte, sie würgte und war kaum fähig, ihren Mageninhalt bei sich zu behalten. Es stieg ihr sauer in die Kehle. Was war hier geschehen? Warum hatte Tanya ihr Kind mitgenommen und war dann umgebracht worden? Das ergab doch keinen Sinn.
Marla … Sie steckt dahinter … Du weißt es genau. Sie ist eine Psychopathin.
Neue Angst kroch durch ihre Adern.
Marla würde Beejay nichts antun. Nicht ihrem eigenen Enkel …
Aber du glaubst, dass sie Gran umgebracht hat, oder?
Und Rory, ihren eigenen Bruder?
Was ist mit Cherise?
Warum sollte sie aufhören?
Warum sollte sie Tanya und Beejay nicht ebenfalls umbringen?
»Nein!«, sagte sie, um die bösen Gedanken abzuwehren.
Jack, das Handy am Ohr, horchte auf. »Was?«, fragte er, doch bevor sie antworten konnte, vernahm er eine Stimme am Handy. Die Notrufzentrale.
Jacks blaue Augen blickten so nüchtern, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Er sah Cissy an, während er in das Gerät sprach. »Hier spricht Jack Holt. Ich muss einen Mord melden. Eine Frau ist tot, ein Kind wird vermisst. Das Opfer heißt Tanya Watson, sie war unser Kindermädchen. Sie liegt
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