Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
Vorgarten öffnete. Ursprünglich war das Tor mit einem automatischen Schloss ausgestattet gewesen. Besucher hatten klingeln müssen, damit der Türöffner von innen betätigt wurde, doch inzwischen war das Schloss aufgebrochen und offenbar nie wieder repariert worden.
Cissy drängte sich durchs Tor, dicht gefolgt von Jack. Sie stürmte zu Tanyas Wohnungstür und drehte am Knauf. Abgeschlossen.
»Tanya!« Mit aller Macht hämmerte Cissy gegen die Tür. »Bist du da? Tanya? Mach auf!«
Mit angehaltenem Atem wartete sie. Dann hieb Jack ebenfalls mit der Faust gegen die Türfüllung und rief noch lauter. »Tanya! Wir sind’s, Jack und Cissy. Ist alles in Ordnung? Wir haben versucht, dich anzurufen.«
Links von sich hörten sie ein scharrendes Geräusch, als ein Fenster geöffnet wurde. »Hey«, rief eine ungehaltene Frauenstimme aus der übernächsten Wohnung. »Wollen Sie die Toten aufwecken? Ich arbeite Nachtschicht. Geben Sie Ruhe!«
»Mein Kindermädchen wohnt hier. Sie hat meinen Sohn«, stieß Cissy hervor. »Wir können sie nicht erreichen. Ich habe schreckliche Angst, dass etwas passiert ist.«
»Immer mit der Ruhe. Ich habe einen zweiten Schlüssel. Tanya und ich haben für alle Fälle Schlüssel getauscht. Jetzt ist wohl so ein Fall eingetreten.«
Cissy trat von einem Fuß auf den anderen. Sie hätte die Frau anschreien mögen, damit sie sich beeilte. Jack stand mit versteinerter Miene wie ein Wachtposten neben der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt.
Endlich öffnete eine Frau in den Dreißigern ihre Tür, fuhr sich mit einer Hand durch das wirre Haar und sah Jack und Cissy aus zusammengekniffenen Augen an. »Es scheint ja höllisch zu regnen.«
»Bitte …«, sagte Cissy.
»Okay, okay. Sie sehen ziemlich harmlos aus.« Sie musterte Jack rasch von Kopf bis Fuß und strich verlegen ihren Morgenmantel glatt. Statt ihnen Tanyas Schlüssel zu geben, schob sie ihn selbst ins Schloss.
Cissy stürzte in die Wohnung, aber Jack war noch schneller. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, presste er plötzlich ihr Gesicht an seine Brust. »Raus«, befahl er der Nachbarin. »Das hier ist ein Tatort.«
»Wie bitte?«, keuchte Cissy. Sie riss sich los und stieß Jack zur Seite. Das Blut rauschte in ihren Ohren vor Angst. Tatort? »Beejay?«, flüsterte sie mit gebrochener Stimme.
Doch ihr Sohn war nirgends zu sehen.
Mitten im Zimmer jedoch lag Tanya, auf dem Rücken.
Zwischen ihren Augen, die starr und überrascht wirkten, befand sich schwarz und bedrohlich eine Einschusswunde.
18
Wo ist Beejay?«, schrie Cissy. Ihr Herz raste, sie hatte das Gefühl, im nächsten Moment umkippen zu müssen. O Gott, o Gott, o Gott! Er war hier gewesen. Er musste hier gewesen sein. Sie starrte auf Tanyas Leiche. Aus dem schwarzen blutverkrusteten Loch in ihrer Stirn sickerte immer noch Blut, die blicklosen Augen starrten an die Decke ihres kahlen Apartments.
»Du lieber Gott …«, sagte die Nachbarin und wich zurück, während Cissy durch alle Räume hastete und suchte, in jede Ecke und jeden Winkel der ordentlichen kleinen Zweizimmerwohnung spähte.
Er musste hier sein. Es war doch gar nicht anders möglich!
»Rufen Sie die Polizei«, befahl Jack der zurückweichenden Nachbarin.
»Beejay«, rief Cissy. Ihre Stimme klang verzweifelt. Eine alte Kuckucksuhr auf dem Kaminsims tickte laut. Cissy hastete ein zweites Mal durch den kurzen Flur, öffnete im Schlafzimmer die Tür zum Kleiderschrank. Als sie dort nichts fand, ließ sie sich auf die Knie sinken und suchte unter dem Bett. Ein Koffer und eine Plastikwanne voller Sommerkleidung waren dort versteckt, aber kein Kind.
Sie flüsterte: »Beejay, wo steckst du?«
Und wenn er gar nicht hier wäre?
Es gab hier gar nicht so viele Möglichkeiten, sich zu verstecken.
Wenn nun … O Gott … Sie mochte nicht daran denken, aber wenn die Person, die Tanya erschossen hatte, Beejay in ihrer Gewalt hatte? So durfte sie nicht denken. Noch nicht. Sie stemmte sich wieder hoch, stand auf und lief in das winzige Bad. Mit heftig klopfendem Herzen, voller Angst, seinen kleinen leblosen Körper auf dem kalten Porzellan zu finden, riss sie den Duschvorhang zurück, so heftig, dass sie ihn beinahe von den Metallhaken gerissen hätte.
»Ich sehe mich draußen um«, drang Jacks Stimme an ihr Ohr.
Bis auf einen deutlich sichtbaren Rostfleck war die Duschwanne leer. Cissy wäre beinahe zusammengebrochen. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder besorgt sein sollte. Sie wollte nur noch
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