Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
gelangte man hinein.
Am Fuß der Treppe angelangt, fiel der Gestank mit aller Macht über sie her. Ekelerregend. Grauenhaft.
Sybil musste wieder husten, und im selben Augenblick forderte Richs arrogante Stimme sie auf, eine Nachricht zu hinterlassen. »Rich, hier ist Sybil. Ich besuche gerade eines unserer Mietobjekte. Den Berkeley-Bungalow, und hier … stimmt was nicht.«
Piep. Sie wurde plötzlich unterbrochen. Wurde nicht einmal gefragt, ob sie ihre Nachricht untergebracht hatte. Verdammt.
Sie klappte das Handy zu, behielt es jedoch in der Hand, als sie weiterging und die schmale, beinahe nicht zu erkennende Tür zu dem abgetrennten Raum entdeckte. Mit angehaltenem Atem zwängte Sybil sich hindurch.
Sie sah sich um, und ihr sträubten sich im wahrsten Sinne des Wortes die Haare. Im bläulichen Schein des Fernsehers sah sie den Hinterkopf einer Frau. Die Frau sah eine Nachrichtensendung an. Sie saß still wie eine Statue.
»Elyse …?«
Sie trat weiter vor, um sie besser ansehen zu können, und tastete nach dem Lichtschalter. Sie knipste das Neonlicht an, das ein wenig flackerte.
Sybils Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei.
Die Frau, die da so ruhig in ihrem Sessel saß, hockte dort wohl schon eine ganze Weile. Aus leeren Augenhöhlen starrte sie Sybil heiter an. Ihr Gesicht – die gesamte Haut – war systematisch von Insekten und Maden abgefressen. Der tote Körper verweste, schmolz in den Sessel hinein.
Doch es sah aus, als hätte jemand ihr erst kürzlich die Nägel manikürt.
Sybil fuhr zurück, als hätte sie sich verbrannt. Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer des Notrufs. Schreiend wie eine Irrsinnige stolperte sie die Treppe hinauf, durchs Haus, zur Haustür hinaus und erbrach ihren Salat vor Tilda Owens Augen hinter der Jalousie auf ihr cremefarbenes Designerkostüm.
Bayside Hospital
San Francisco, Kalifornien
Zimmer 316
Freitag, 13. Februar
JETZTZEIT
Ich fasse es nicht, dass keiner kommt, um nach mir zu sehen. Ich wollte, ich bekäme noch eine Chance, Jack zu sagen, dass ich ihn liebe … Aber es ist zu spät … Ich weiß es jetzt. Der Arzt sagt, es wäre an der Zeit, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen, es wäre das Beste, mich sterben zu lassen und Organe zu entnehmen.
O Gott, nein!
Nein, nein, nein! Ich lebe doch.
Ich strenge mich übermenschlich an. Panik hat mich fest im Griff. Das muss doch auf diesen verdammten Monitoren abzulesen sein? Sehen sie denn nicht, dass meine Herzschlagfrequenz ins Unermessliche hochschießt? Begreifen sie nicht, dass ich alles mitbekomme?
Um Gottes willen, untersucht mich! Leuchtet mit diesem verdammten Lämpchen in meine Augen und seht, wie ich zucke, wie meine Pupillen reagieren.
Lasst mir Zeit. Ich wache auf. Ihr gebt viel zu schnell auf. Ich kämpfe darum, mich zu bewegen, ihnen zu zeigen, dass ich lebe, doch nichts geschieht.
Hört auf mit diesem Wahnsinn. Denkt an mich.
Inmitten meiner Ängste höre ich den Arzt resigniert sagen: »Es ist Zeit. Ich rufe die Familie an …«
20
Paterno hatte in seinen langen Dienstjahren schon einiges gesehen.
Er war Zeuge der Unmenschlichkeit von Menschen anderen gegenüber geworden, hatte die Folgen von Missbrauch, Abhängigkeit und Wut gesehen. Es hatte ihn bald nicht mehr erstaunt, wie schlecht Menschen einander behandeln konnten, aber das hier … Was er jetzt sah, ging über seine Vorstellungskraft.
Ein Detective Lee aus Berkeley hatte ihn angerufen, der den verzweifelten Notruf einer Vermieterin entgegengenommen hatte. Die Frau hatte die Leiche im Kellergeschoss eines ihrer Mietobjekte gefunden. Der uniformierte Polizist, der auf den Notruf reagierte, hatte sofort das Morddezernat verständigt. Der Zuständige dort, Detective Lee, hatte zwei und zwei zusammengezählt und sich dann mit Paterno in Verbindung gesetzt. Blitzschnell hatte Paterno die Brücke überquert. Sein Magen war übersäuert und machte ihm schwer zu schaffen, als er den Bungalow hinter der Polizeiabsperrung besichtigte. Darin wimmelte es bereits von Polizisten und Kriminaltechnikern, an der Grundstücksgrenze drängten sich Übertragungswagen, Nachbarn und Leute, die zufällig vorbeigekommen waren und nun an der Sperre stehen blieben und nun auf einen Blick auf die grausigen Vorgänge hofften.
»Detective Paterno?«, rief eine Frauenstimme, und mit einem Blick über die Schulter sah er Lani Saito, die attraktive asiatische Reporterin von KTAM mit dem glänzend schwarzen Haar, die ihn früher schon
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