Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
einmal angesprochen hatte. Ihr Kameramann begleitete sie und richtete die Linse seiner geschulterten Kamera auf Paterno. Es war noch nicht ganz dunkel, doch er hatte in der Nähe des Ü-Wagens bereits einen Strahler installiert, um das Gebiet auszuleuchten. »Kann ich Sie kurz sprechen? Stimmt es, dass Marla Cahill sich in diesem Haus aufhält? Lebt sie?«
Paterno sah die Frau böse an. Wie kam sie so schnell an derartige Informationen? »Ich bin gerade erst angekommen.«
»Dieser Fall liegt zwar außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs, aber da Sie in den Mordfällen ermitteln, in denen Marla Cahill als Verdächtige gilt, vermute ich, dass sie der Grund Ihres Hierseins ist. Befindet Marla Cahill sich in diesem Haus?«
»Ich kann Ihnen jetzt noch nichts sagen, Ms. Saito, aber die Pressestelle wird bestimmt ein Statement abgeben, sobald wir Näheres wissen.« Er zwang sich zu einem düsteren Lächeln und zur Beherrschung, um der Frau nicht den Hals umzudrehen. Herrgott, was wollte die Presse von ihm? Paterno kehrte ihr und ihrem Kameramann den Rücken zu, ging weiter zum Tatort und wies dem uniformierten Polizisten seine Dienstmarke vor. »Paterno, Polizei San Francisco, Morddezernat. Detective Lee hat mich angerufen.«
»Ja, sie hat Sie bereits angekündigt. Sie ist im Haus. Wahrscheinlich im Keller. Ziehen Sie das da bitte über.« Der Uniformierte reichte ihm ein Paar Überschuhe.
Paterno zog die Einwegüberschuhe an und stieg die Treppe zur Haustür des kleinen Hauses hinauf, das sich kaum von den anderen Häusern in der Straße unterschied. Der Garten war winterkahl, die Hecken mussten geschnitten werden, die Vorhänge waren geschlossen.
Das Wohnzimmer war so gut wie leer. Ein paar Klappstühle und ein kleiner Tisch standen auf dem abgenutzten Holzfußboden. Sonst keinerlei Möbel. Keine Betten in den beiden Schlafzimmern, keine Handtücher im Bad, die Badewanne voller Spinnen, und die Luft im gesamten Haus war unerträglich. Kaum hatte er es betreten, waren ihm die Gerüche von Lösungsmittel, Kiefernnadeln und Lufterfrischer in die Nase gestiegen, doch darunter lag unverkennbar und übermächtig der Gestank des Todes.
Vorsichtig ging er den Kriminaltechnikern aus dem Weg, die nach Fingerabdrücken und Blutspuren suchten, eventuelle Beweisstücke einsammelten und den kleinen Nachkriegsbungalow bis in die hintersten Ecken und Winkel durchkämmten. Durch die Küche mit einem rissigen Linoleumboden aus den Fünfzigern fand Paterno den Weg nach unten in einen muffigen, feuchten Keller, in dem es stank.– Der Geruch von verfaultem Fleisch erstickte ihn nahezu. Er zwang sich, weiterzugehen.
Die rissigen Betonwände zeigten Hinweise auf Überflutungen, ihm fiel auf, dass die Waschmaschine verrostet war. Handys klingelten, und Funkgeräte knisterten, als er sich einer offenen Tür näherte, einem zur Seite geschobenen Bücherregal, hinter dem sich ein kleiner Raum befand. Daher kam der fürchterliche Gestank. Paterno biss die Zähne zusammen, um nicht zu würgen, und trat ein.
Er hätte sich beinahe doch übergeben.
In einem Sessel vor einem stumm geschalteten Fernsehersaß die halbverweste Leiche einer Frau. Die Augen fehlten, ihr Gesicht wies klaffende Löcher auf, freigelegtes schwarzes Muskelfleisch und Knochen. »Heiliger Strohsack«, flüsterte er, und sein Magen wollte sich umstülpen. Der Gerichtsmediziner untersuchte die Leiche, und eine zierliche Frau von etwa vierzig ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über ein Doppelbett in der Zimmerecke gleiten. »Ich suche Detective Lee.«
»Das bin ich.« Sie reichte ihm die behandschuhte Hand.
»Susannah Lee. Man nennt mich Suze.«
»Anthony Paterno.«
»Das dachte ich mir.« Offenbar unbeeindruckt vom grauenhaften Anblick der Leiche und dem üblen Geruch sagte Lee: »Wir vermuten, dass das da Marla Cahill ist, aber wegen des Zustands der Leiche ist es schwer zu sagen. Doch Rasse, Größe, Statur, alles stimmt. Dieses Haus wurde ein paar Wochen vor Marlas Ausbruch aus dem Gefängnis angemietet, gleich nach den Feiertagen. Sehen Sie sich das an. Ist das nicht merkwürdig? Das Bett ist gemacht und benutzt worden, es gibt Hinweise darauf, dass die Leiche im Bett gelegen hat, Körperflüssigkeiten, Maden und Eier und so weiter. Jemand muss sie also bewegt haben. Und jemand hat ihr die Frisur gerichtet, sehen Sie nur.« Lee richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf das strähnige rote Haar der Leiche. Gebürstet und gestylt. »Sehen Sie sich außerdem ihre
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