Deadline - Toedliche Wahrheit
sie schließlich in einem neutralen Tonfall, der so ziemlich alles hätte bedeuten können.
Damit gab ich mich zufrieden. »Tatsächlich«, bejahte ich. »Mich würde die Liste der Labore interessieren. Wie viele von denen können wir gefahrlos aufsuchen? Wo können wir die nötige Feldforschung erledigen, um die Gleichung zu lösen?« Durch Kellys Unterlagen standen uns Zahlen zur Verfügung, aber der Rest des Gesamtbilds fehlte. Wenn wir durchblicken wollten, mussten wir mit jemandem sprechen, der unser Datenmaterial bestätigen oder widerlegen konnte – und wenn man den Seuchenschutz schon so lange, wie Kelly behauptete, von der Forschung an Reservoirkrankheiten abgehalten hatte, dann gab es in den Laboren auf unserer Liste vielleicht Puzzleteile, von deren Existenz wir noch nicht einmal wussten.
»Alle Labore auf Liste A haben Forschungsleiter, mit denen irgendwann mal jemand aus unserem Team direkt zusammengearbeitet hat, entweder bevor oder nachdem sie in den Privatsektor abgewandert sind.« Jetzt, wo Kelly es mit klaren Fakten anstelle von verrückten Reportern zu tun hatte, klang sie sehr viel entspannter. »Auf Liste B stehen die Labore, in denen jemand persönliche Erfahrungen mit den Mitarbeitern gemacht hat, aber nicht mit dem Forschungsleiter, und Liste C besteht aus den Laboren, über deren Mitarbeiter jemand von uns nur Informationen aus zweiter Hand hatte. Hörensagen, akademischer Ruf, ob sie sich die Mühe machen, ihre Quellen zu prüfen … «
»Was ist mit Liste D?« Während ich redete, bewegte ich die Finger auf der Tastatur und schüttete Zeile um Zeile hirnrissiges Geschwafel aus. Es war der Tag nach dem Todesfall. Man erwartete Neuigkeiten von uns – nichts konnte uns von dieser Pflicht befreien, nicht einmal das Sterben: Georges Blog hatte nach ihrem Tod zwar den Namen gewechselt, aber aufgrund der Beiträge, die sie noch auf Vorrat gehabt hatte, war er letztlich nicht mal eine Woche offline gewesen. Man erwartete allerdings nicht von uns, besonders tiefschürfend zu sein.
»Ach!« Als ich Kellys verächtlichen Tonfall hörte, warf ich ihr einen kurzen Blick zu. Ihre Lippen waren zu einer angewiderten Grimasse verzogen. »Das sind die Labore, von deren Mitarbeitern wir wissen, dass sie ihre Forschung in eher unethischer Weise vorantreiben.«
»Wie, mit Vivisektionen? Mit menschlichen Laborratten?« Ich vollendete meinen ersten Beitrag des Tages und klickte auf »veröffentlichen«. Dann wechselte ich auf die Administrationsebene und begann erneut zu tippen, während ich hinzufügte: »Durch das Klonen ganzer Menschen?«
»Beim Seuchenschutz ist das etwas anderes«, sagte sie mit schneidender Stimme. »Wir haben eine Sondergenehmigung.«
»Und?« Ohne beim Tippen innezuhalten zuckte ich mit den Schultern. »Deshalb ist es noch lange nicht richtig. Wie viele der Labore auf Liste D stünden auf Liste A, wenn man sich kein moralisches Urteil anmaßt?«
Kelly seufzte. »Zwei, höchstens.«
»In Ordnung. Ist eines davon hier in der Nähe?«
Entsetzt hielt sie inne, als sie begriff, was ich von ihr verlangte. »Shaun, du begreifst das nicht! Es gibt viele gute Gründe dafür, dass diese Leute in wissenschaftlichen Kreisen in Verruf sind, und nicht alle davon sind derart nichtig, wie du zu glauben scheinst. Das sind keine heimlichen Helden, die irgendeine Art Guerillakrieg gegen den bösen Seuchenschutz führen – es sind Bioterroristen und Verrückte, und sie sind gefährlich . Uns könnte ernsthaft etwas zustoßen, wenn wir uns an diese Leute wenden. Wir könnten ums Leben kommen .«
»Ums Leben kommen könnten wir auch, wenn wir hierbleiben. Ich sehe da im Endeffekt keinen Unterschied.« Ich trank einen weiteren Schluck aus Georges Cola. »Deine Einwände wurden zur Kenntnis genommen. Können wir irgendwelchen dieser Leute vertrauen? Überhaupt jemandem? Oder picke ich einfach nach dem Zufallsprinzip jemanden heraus und hoffe, dass er nicht am Frankenstein-Ende der Wahnsinnige-Wissenschaftler-Skala ist?«
Kelly schluckte und musste sich sichtlich überwinden, mir zu antworten. Schließlich sagte sie: »Dr. Abbey. Ich habe Teile ihrer Arbeit über Reservoirkrankheiten gelesen, bevor sie von der Bildfläche verschwunden ist. Ich glaube, sie könnte uns helfen.«
»Bestens. Wo ist sie?«
Kelly seufzte. »In Portland in Oregon.«
»Das ist eine fünf- bis sechsstündige Fahrt, wenn wir keine Umwege machen.« Ich nahm einen weiteren Schluck Cola. »Nervig, aber zu schaffen. Was war
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