Deadlock
ich verschwundene Zeugen auf und schicke gerichtliche Vorladungen an Leute, die unter keinen Umständen bei einer Verhandlung erscheinen wollen.«
Grafalk studierte mich immer noch mit dem gleichen belustigten Lächeln - dem Lächeln eines reichen Mannes, dem es Spaß machte, Einblick zu nehmen in die kleinen Geheimnisse des Lebens der Mittelschicht: Wie lebt der einfache Mann, der zufällig keine Schifffahrtsgesellschaft sein eigen nennt? Das Lächeln gefror. Er hatte hinter mir jemanden entdeckt, den er offenbar nicht zu sehen wünschte. Als ich mich umwandte, sah ich einen stämmigen Mann im grauen Straßenanzug auf unseren Tisch zukommen. »Hallo, Martin.«
»Hallo, Niels ... Hallo, Sheridan. Niels versucht wohl, Sie für die >Eriksson< anzuwerben?«
»Hallo, Martin. Das ist VI. Warshawski, Champ Warshawskis Cousine, und sie ist hier, um uns allen einige Fragen im Zusammenhang mit seinem Tod zu stellen«, sagte Sheridan.
»Sehr erfreut, Miss Warshawski. Der Unfall Ihres Vetters hat mich sehr erschüttert. Wir kannten ihn zwar alle nicht näher, aber wir haben ihn als Eishockeyspieler bewundert.«
»Danke.«
Er wurde mir als Martin Bledsoe vorgestellt, Eigentümer der Pole-Star-Linie, zu der auch die »Lucella Wieser« gehörte. Er ließ sich auf einem Stuhl zwischen Sheridan und Phillips nieder, nachdem er Grafalk gefragt hatte, ob er uns Gesellschaft leisten dürfe.
»Sehr gern, Martin«, erwiderte der Wikinger liebenswürdig. Das gefrorene Lächeln vorhin hatte ich mir sicher nur eingebildet.
»Tut mir Leid für Sie, Niels, das mit der >Eriksson<. Ganz schöner Schlamassel da draußen. Haben Sie eine Ahnung, wie's passiert ist?«
»Sah so aus, als hätte sie die Kaimauer gerammt, Martin. Aber nach Abschluss der Untersuchung werden wir das ganz genau wissen.« Plötzlich kam mir zu Bewusstsein, dass Grafalk hier seelenruhig beim Mittagessen saß, obwohl er gerade erst einen Schaden von mehreren hunderttausend Dollar erlitten hatte.
»Was geschieht in einem solchen Fall?«, fragte ich. »Ist der Schaden am Schiffsrumpf gedeckt?«
»Ja.« Grafalk verzog das Gesicht. »Es ist alles versichert. Allerdings werden meine Prämien beträchtlich steigen ... Aber daran möchte ich im Augenblick noch nicht denken.«
Ich wechselte das Thema und stellte ihm ein paar allgemeine Fragen über die Frachtschifffahrt. Seiner Familie gehörte die älteste - und zugleich größte - der Linien, die noch regelmäßig auf den Großen Seen verkehren. Einer seiner norwegischen Vorfahren hatte im Jahr 1838 mit einem einzigen Klipper begonnen, der Pelze und Erz von Chicago nach Buffalo brachte. Grafalk geriet geradezu in Begeisterung, als er einige der größten Frachter und der spektakulärsten Unfälle aufzählte. Entschuldigend sagte er: »Sie müssen mir verzeihen - aber wenn's um die Geschichte der Frachtschifffahrt geht, gerate ich fast ins Schwärmen ... Meine Familie hat in dieser Branche schon so lange eine Rolle gespielt ... Darum habe ich meine Privatjacht auch >Brynulf Nordemark< getauft, zur Erinnerung an den Kapitän, der bei der Katastrophe von Achtzehnhundertsiebenundfünfzig heldenhaft unterging.« »Grafalk ist selbst ein hervorragender Seemann«, warf Phillips ein. »Er besitzt zwei Segelboote - die alte Jacht seines Großvaters und ein Rennboot. Sie beteiligen sich doch jedes Jahr an der Mackinac-Regatta, nicht, Niels?« »Ich habe nur zwei versäumt, seitdem ich mit dem College fertig bin. Und das war vermutlich vor Ihrer Geburt, Miss Warshawski.«
Entsprechend der Familientradition hatte er das Northwestern College besucht. Ich erinnerte mich vage an ein Grafalk-Institut auf dem Campus der Northwestern University und an das Grafalk-Meeresmuseum in der Nähe des Shedd-Aquariums.
»Und die Pole-Star-Linie?«, fragte ich Bledsoe. »Ist das auch ein altes Familienunternehmen?«
»Martin ist ein Spätentwickler«, bemerkte Grafalk obenhin. »Wie alt ist die PSL jetzt? Acht Jahre?«
»Ich war der Vorgänger von Percy MacKelvy«, erklärte Bledsoe. »Und seitdem ich abtrünnig geworden bin, führt Niels Buch über jeden Tag.«
»Klar, Martin. Sie waren ja auch der beste Dispatcher in der ganzen Branche.
Natürlich fühlte ich mich im Stich gelassen, als Sie ein Konkurrenzunternehmen aufmachten ... Übrigens, ich habe von dem Sabotageakt auf der >Lucella< erfahren. Hört sich übel an. War es jemand aus Ihrer Mannschaft?«
Die Kellner brachten die Vorspeisen. Obwohl sie schnell und geräuschlos arbeiteten,
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