Deadlock
verlegen. »Nein, wir sind nicht so wie die - wie einige der Leute hier draußen. Clayton muss jeden Pfennig, den wir ausgeben, selbst verdienen. Allerdings haben auch andere hier zu kämpfen.« Es schien, als wolle sie sich darüber näher auslassen, doch dann änderte sie ihre Meinung. »Fast alle Frauen, mit denen wir uns unterhalten, empfinden die geschäftlichen Verpflichtungen ihrer Männer als größten Nachteil: Sie müssen die Kinder allein erziehen und sind zu viel allein. Eine Führungskraft wie Ihr Mann verbringt vermutlich die meiste Zeit im Büro. Außerdem muss man natürlich noch die Fahrzeit von hier zum Hafen berücksichtigen.« Auf der Tri-State-Autobahn zur 1-94 kam man zwar normalerweise flott voran, doch er fuhr zur gleichen Zeit wie alle Pendler Richtung Innenstadt und zurück. Wenn alles glatt ging, war er vielleicht eineinhalb Stunden unterwegs.
»Um wie viel Uhr kommt er gewöhnlich nach Hause?« Ganz unterschiedlich, aber meistens so gegen sieben. Ich schlug ihr vor, einen typischen Tag in ihrem gemeinsamen Leben zu schildern - beispielsweise den letzten Donnerstag. Wann waren sie aufgestanden, was hatten sie zum Frühstück gegessen, womit hatte sie sich den Tag über beschäftigt? Um welche Zeit war ihr Mann von der Arbeit gekommen? Ich hörte sie über all die öden Kleinigkeiten eines langweiligen Lebens plappern: über die Stunden im Tennisklub, bei der Kosmetikerin, im Edens Plaza Shopping-Center; dann erst bekam ich die Information, auf die ich so erpicht war: Clayton war an jenem Abend erst nach neun Uhr heimgekommen. Sie erinnerte sich noch daran, weil sie einen Braten vorbereitet hatte und weil sie und die beiden Mädchen schließlich mit dem Essen begonnen hatten, ohne auf ihn zu warten. Sie konnte nicht sagen, ob er einen aufgeregten oder erschöpften Eindruck gemacht hatte oder ob seine Kleidung ölverschmiert gewesen war.
»Ölverschmiert?«, wiederholte sie erstaunt. »Wieso interessiert sich Ihr Institut für solche Sachen?«
Einen Augenblick lang hatte ich vergessen, welche Rolle ich hier spielte. »Es geht um die Frage, ob Sie die Wäsche selber erledigen oder außer Haus geben, oder ob Sie gar eine Hausangestellte haben.«
»Wir geben die Wäsche außer Haus. Ein Hausmädchen können wir uns nicht leisten.« Sie lächelte säuerlich. »Zumindest noch nicht. Vielleicht in einem Jahr.«
»Ja, dann danke ich Ihnen für das Gespräch, Mrs Phillips. Sobald der Bericht fertig gestellt ist, erhalten Sie von uns eine Kopie. Er soll im Spätsommer veröffentlicht werden.«
Als ich mich verabschiedete, fragte ich beiläufig, wer denn in dem riesigen Ziegelhaus weiter vorn wohne, auf dem Grundstück mit den Tennisplätzen. Ein Ausdruck von Neid und Ehrfurcht zog über ihr Gesicht. »Die Grafalks. Mit der müssten Sie sich mal unterhalten. Ihrem Mann gehört eines der bedeutendsten Unternehmen der Stadt, eine Reederei. Sie haben Dienstmädchen und einen Chauffeur und was sonst noch so dazugehört.« »Haben Sie viel mit ihnen zu tun?«
»Ach, wissen Sie, jeder geht so seinen Weg. Sie haben uns in den Maritime Club eingeführt, und Niels nimmt Paul und Clayton gelegentlich zum Segeln mit. Sie ist allerdings ziemlich eingebildet. Wer nicht Mitglied der Symphonischen Gesellschaft ist, zählt für sie nicht.« Anscheinend hatte sie das Gefühl, bereits zu viel gesagt zu haben, denn sie wechselte hastig das Thema und verabschiedete sich. Ich fuhr rückwärts hinaus auf die Harbor Road und am Anwesen der Grafalks vorbei. Hier also wohnte der Wikinger. Hübsches Plätzchen. Ich hielt an und sah mich um, wobei ich gegen die Versuchung ankämpfen musste, hineinzugehen und es mit der gleichen Masche bei Mrs Grafalk zu versuchen. Während ich noch überlegte, bog ein Bentley aus der Toreinfahrt auf die Straße ein. Am Steuer saß eine magere dunkelhaarige, leicht ergraute Frau mittleren Alters. Sie würdigte mich keines Blickes; anscheinend waren sie an Gaffer gewöhnt. Vielleicht war es auch nur eine Besucherin - ein Mitglied der Symphonischen Gesellschaft zum Beispiel.
Die Harbor Road machte etwa hundert Meter hinter dem Anwesen der Grafalks einen Bogen nach Westen in Richtung Sheridan Road. Der Bentley schoss mit beachtlichem Tempo in die Kurve, und ich legte gerade den Gang ein, um ihm zu folgen, als in Gegenrichtung ein dunkelblauer Sportwagen auftauchte. Mit achtzig Sachen bog er vor mir links ein und nahm mir die Vorfahrt. Nur durch eine Vollbremsung gelang es mir, einen
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