Deadwood - Dexter, P: Deadwood
auf zweiundzwanzig gestiegen. Sämtliche Pritschen im Seuchenhaus waren belegt, die drei letzten Opfer lagen in Decken gewickelt auf dem Boden. Dennoch war bislang niemand gestorben.
Jeden Morgen begann Jane mit dem
Gem Theater
– dort gab es zwei Fälle – und ging dann weiter zum Seuchenhaus. Ihre drei ersten Patienten – die beiden Freudenmädchen und der Spieler – waren inzwischen über den Berg und auf dem Weg der Besserung. Die Mädchen waren mit Narben übersät, was, wie sie sagte, wahrscheinlich zu ihrem eigenen Besten war. Sie kämpfte gegen die Krankheit, und sie kämpfte gegen die Schändlichkeit.
Der Spieler hatte ihr im Delirium unter die Röcke gegriffen, und sie hatte ihm mit dem Griff ihrer Pistole auf den Handrücken geschlagen. »Ich verkehre mit niemandem, solange ich die Kranken heile«, sagte sie. »Damit ich heilen kann, muss ich rein bleiben. Ich schenke dir dein Leben, zwing mich jetzt nicht, es zurückzunehmen.«
Sie kannte jeden Patienten beim Namen und wusste, in welchem Stadium der Krankheit sie sich befanden. Sie konnte einen Tag im Voraus sagen, wann sie den kritischen Punkt erreichten, und war dann mit ihrer Mixtur zur Stelle. In dem Moment, wenn sie ihnen gewaltsam die Flasche in den Mund einführte und ihnen das Leben schenkte, liebte sie sie am meisten.
Den ganzen Tag ging sie von einem Bett zum nächsten, kühlte hier eine heiße Stirn, tröstete dort ein Mädchen. Sie wischte den Fußboden, leerte Bettpfannen und fütterte diejenigen, die essen konnten. Sie hängte einen Flaschenzug unter die Decke und packte das Handgelenk des Spielers in einen Streckverband. Er hatte versucht, das Seuchenhaus zu verlassen, als sein Fieber nachließ, doch sie hielt ihn im Bett, indem sie sagte, die Bazillen der Geheilten würden den Geschwächten helfen, gegen die Krankheit anzukämpfen.
Sie konnte es nicht ertragen, auch nur einen Einzigen zu verlieren.
Abends ging sie durch die Bars in den Badlands und sammelte für die Kranken. Sie nahm den Hut ab, ging zwischen den Spielern, Reisenden und Freudenmädchen hindurch und bedrängte sie, bis sie ihr Geld herausrückten.
Und sie trank, während sie ihre Runde machte, manchmal von der Mixtur, manchmal Whiskey. Das Gläserspülen wurde zur Gewohnheit in den Badlands.
»Gott gab mir die Gabe des Heilens«, erzählte sie, und manche glaubten ihr, andere nicht, aber keiner wollte, dass sie ihm zu lange ins Gesicht atmete. Seit Jane sich um die Pocken kümmerte, waren Barmherzigkeit und Angst nicht mehr voneinander zu trennen.
Ihre Augen waren immerzu gerötet, Tag und Nacht, und ganze Abende verstrichen in den Bars, ohne dass ihr Adlerschrei ertönte. Man sah sie in der Öffentlichkeit gähnen. Es gab Gerüchte, dass sie die Afrikanische Schlafkrankheit hatte.
Sie sprach nicht mehr so oft mit den Reisenden – außer, um sie um Geld zu bitten – und manchmal saß sie allein, trank von ihrer Mixtur und führte Selbstgespräche. »Du bist die Einzige, die es heilen kann«, sagte sie dann. »Gott hat dich gesandt.«
Niemand fiel ihr ins Wort. Es war immer noch besser, wenn sie Selbstgespräche führte, als dass sie Adlerschreie oder Drohungen ausstieß, jemandem die Zehen wegzuballern, oder um Bill trauerte, und während die Tage verstrichen, teilten immer mehr die Ansicht, dass sie recht haben könnte. »Die Wege des Herrn sind unergründlich«, hörte man an den merkwürdigsten Stellen.
Es gab sogar Lokale in den Badlands, wo Männer ihre Plätze aufgaben, wenn sie Jane durch die Tür kommen sahen. Es gab Lokale, da spendierte man ihr Drinks, ohne dass sie darum bitten musste. Und sie nahm die Stühle und die Drinks als den ihr zustehenden Lohn an und bedankte sich dafür bei keiner Menschenseele.
Die Nachricht von den ersten Toten kam fünf Wochen, nachdem der erste Fall im
Gem Theater
entdeckt worden war. Zwei Männer und zwei Frauen starben am selben Morgen im Seuchenhaus. Swearingen hörte es von dem Freudenmädchen, das ihm seine Mahlzeiten brachte. Sie hieß Lu-Lu, und sie hatte mal für Charley Utter in Lead gearbeitet, bevor er das Geschäft an Boone May und Lurline übergeben hatte, die es in weniger als einem Monat zugrunde gerichtet und sich dabei fast gegenseitig umgebracht hatten. Lu-Lu achtete mehr auf Körperhygiene als die meisten, und er bezahlte ihr zwei Dollar am Tag dafür, dass sie ihm Essen und Wasser aufs Zimmer brachte und seinen Eimer ausleerte. Al Swearingen hatte das Zimmer nicht mehr verlassen, seit seine
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