Deadwood - Dexter, P: Deadwood
Ihr schien, als habe sie die letzten zwei Wochen nur geweint. Wenn sie sich nicht zusammenriss, würde sie noch jemand dabei erwischen. Sie trank die Flasche leer und schaute dabei vom Sitz des Wagens auf die Straße. Nach einer Weile versiegten die Tränen, und sie überlegte, ob sie vielleicht nach Rapid City reiten sollte, um sich dort zu besaufen. Dort war sie einmal die Main Street auf einem Bullen entlanggeritten, woraufhin ihr Bild in die Zeitung gekommen war. Sie dachte an diesen Tag zurück und wie rosig ihre Zukunft damals ausgesehen hatte und fragte sich, wie sie so schnell so unglücklich hatte werden können.
Vermutlich lag es daran, dass sie zu sehr auf ihr Herz gehört hatte. »Dieser Junge gehörte mir«, sagte sie laut. Inzwischen war sie fast fertig mit der Flasche. »Außerdem habe ich für diesen Methodisten fast dreißig Dollar gesammelt.«
Sie stand auf und schüttete die letzten Tropfen aus der Flasche auf den Boden. Dann warf sie sie in die Luft und zog ihre Smith & Wesson, ein russisches Modell, um sie abzuschießen. Doch sie verlor die Flasche in der Morgensonne aus den Augen und fiel vom Wagen.
Der Boden war trockener als auf der Straße und hart. Sie hörte ihren Atemstoß, als sie landete, und lag zunächst still, bis sie spürte, dass sie unverletzt war. Auch das war eine Enttäuschung, und sie begann wieder zu weinen. Sie krümmte sich genau dort neben dem Wagen zusammen und heulte in aller Öffentlichkeit.
»Er gehörte mir«, jammerte sie.
Der Methodist nahm den Jungen mit in seine Hütte in der Nähe der Sägemühle. Er setzte ihn, bis auf den Mantel nackt, in einen Schaukelstuhl neben der Tür.
»Was ist mit deinen Schuhen passiert?« fragte er.
Der Junge blickte länger auf seine Füße, als man brauchte, um zu sehen, dass man barfuß war. »Ich habe Kleidung«, sagte der Prediger, »aber Schuhe müssen passen.«
Der Junge verstand dies als seine erste Lektion. Schuhe müssen passen. Er nickte und wartete, was der Prediger als Nächstes sagen würde. »Kannst du arbeiten?« Der Junge blickte ihn an. »Bist du taub?« fragte der Prediger. Nicht vorwurfsvoll, es war nur eine Frage.
Der Junge schüttelte den Kopf und räusperte sich. »Ich habe gehört, was Sie gesagt haben. ›Hilf den Traurigen, den Schwachen und den Verlorenen unter uns. Verleihe uns Deine Stärke, sodass wir Dein Werk besser verrichten können und unseren Weg zurückfinden zu Dir, von diesem Ort, voll von Deinen Feinden ...‹«
Henry Hiram Weston Smith lächelte. »Da hast du ja besser zugehört als ich mir selbst«, sagte er. Der Junge erwiderte sein Lächeln nicht. »Du bist kein Schwachkopf«, sagte der Prediger, »was plagt dich also?«
Der Junge schüttelte den Kopf. Er wollte nicht darüber nachdenken, was ihn plagte.
»Hat man dich verletzt?« fragte der Prediger. »Befindest du dich auf dem Weg der Besserung?«
Der Junge drehte sich weg, wich den Fragen des Predigers aus. »Ich bin derjenige, wegen dem Sie hier sind«, sagte er nur. Prediger Smith nahm diese Worte ernst. Er fand unter seinen Sachen eine alte schwarze Hose und ein Hemd, das groß genug für zwei war. Seine Initialen waren in die Brusttasche gestickt. Es war ein Geschenk seiner Frau, die ihn immer für größer hielt, als er wirklich war.
Beides gab er dem Jungen, ebenso seine Wechselwäsche, und ging hinaus, während er sich umzog. Es kam ihm nicht der Gedanke, dass er damit genug für den Jungen getan hatte. Und er hatte keine Ahnung, was er noch tun müsste.
Er zog einem Kaninchen, das er am Vortag erlegt hatte, das Fell ab und entzündete in der Mitte eines Kreises aus Quarzsteinen ein Feuer. Das kleine Haus hatte keinen Kamin, war aber von drei Seiten durch Bäume geschützt. Trotzdem gab es Nächte im Winter, in denen er träumte, er würde erfrieren, und diese Träume weckten ihn. Er lag dann unter seinen Decken und wusste, dass der Ort, an dem seine Träume in Einklang mit der Welt standen, der Ort wäre, an dem er sterben würde.
Prediger Smith hatte Angst vor seinen Träumen.
Der Junge kam aus dem Haus und schaute zu, wie er den Spieß durch das Kaninchen trieb und es über das Feuer legte. Er trug die Hosen, die über seinen Knöcheln endeten, und das Hemd, das er fast ausfüllte. Der Junge war größer, als der Prediger gedacht hatte.
Der Junge beobachtete alles, was der Prediger tat. »Hast du noch nie ein Kaninchen vorbereitet?« fragte er. Der Junge hockte sich auf seine Fersen, um besser zusehen zu können,
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