Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
vertauscht wird. Diese Erkenntnis war zwar nicht gerade mit der Besteigung des Mount Everest vergleichbar, aber ich war trotzdem stolz, wieder ein kleines Geheimnis der deutschen Kultur gelüftet zu haben. Mag sein, dass das Beispiel trivial scheint, aber für mich war diese Frage der Schlüssel zu jeder Käse-, Brot- oder Wursttheke in ganz Deutschland – und damit überlebenswichtig.
Ein bis zwei Monate nach meinem gesundheitlich bedingten Ausscheiden aus dem Deutschkurs am Goethe-Institut war es höchste Zeit, wieder richtigen Unterricht zu nehmen, und so sah ich mich nach einem anderen Intensivsprachkurs um. Dies führte mich zur urdeutschen Einrichtung der VHS, der Volkshochschule. Dort wird Menschen aus allen Bevölkerungsschichten ein breit gestreutes Fortbildungsprogramm zu einem vernünftigen Preis geboten.
Mein Deutschkurs fand in einem alten, hässlichen Gebäude in einem nicht sehr schicken Viertel von Köln, wo ich mich nach Einbruch der Dunkelheit lieber nicht aufhalten wollte, statt. Aber wir hatten einen tollen Deutschlehrer und ein kleines Stück Amerika direkt auf der anderen Straßenseite, eine Filiale von McDonald’s. Normalerweise bin ich kein großer Fan von Fast Food, aber es war immer schön, mit den anderen Studenten die Frühstückspause bei Croissants und Kaffee zu verbringen. Es war warm, sauber und eine willkommene Abwechslung zu dem grauen VHS-Kasten.
Mit unserem Deutschlehrer – einem jungen Mann Ende zwanzig – hatten wir das große Los gezogen. Voller Begeisterung lehrte er uns nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die deutsche Kultur. Er war tolerant, kreativ und strotzte vor Energie und guter Laune. Er stellte sich nicht über uns, sondern behandelte uns alle mit großem Respekt. In diesem Kurs lernte ich viel und war mit Spaß bei der Sache. Wo sonst hatte man die Gelegenheit, auf so eine bunte und interessante Mischung von Menschen zu treffen? Der Kurs hatte ungefähr zwanzig Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen Ländern. Dort saßen keine Diplomatenfrauen oder Studenten, sondern Asylbewerber und Arbeitssuchende. Darunter waren ein paar Kurden aus dem Iran und Irak. Und eine Bulgarin, die Deutsch lernen wollte, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, weil sie hier viel mehr verdienen konnte als in ihrem Heimatland. Am Ende war ihr Deutsch gar nicht schlecht, aber sie erhielt trotzdem kein Arbeitsvisum. Eine niedliche Polin wollte ihre Sprachkenntnisse verbessern, weil sie mit einem Deutschen verlobt war und eventuell in Deutschland bleiben wollte. Ich freundete mich mit einer Irin an, die mit einem deutschen Künstler verheiratet war. Sie gehörte zu den ersten englischen Muttersprachlern, die ich in Köln kennenlernte. In der Klasse gab es auch ein paar Türken, für die das Erlernen der deutschen Sprache die Grundvoraussetzung für eine gelungene Integration war. Anfangs saß auch ein Amerikaner in der Klasse, der sich jedoch mit der deutschen Sprache ziemlich schwertat und offenbar auch nicht so sehr auf sie angewiesen war wie der Rest von uns. Irgendwann blieb er ganz weg.
Zwischen den Kursteilnehmern gab es immer wieder hitzige politische Diskussionen und lebhafte Debatten. Bis dahin war ich in meinem Leben noch nie mit Asylbewerbern in Kontakt gekommen, und diese Erfahrung öffnete mir die Augen. Mit großer Leidenschaft und Wut in der Stimme beschrieben die Flüchtlinge die Situation in ihren Heimatländern. Schade, dass unser Deutsch nicht gut genug war, um tiefer ins Detail zu gehen, aber es war auch so hochinteressant.
Aufgrund dieser Gespräche dachte ich zum ersten Mal darüber nach, was es bedeutet, Amerikanerin zu sein, denn im Vergleich zu den Geschichten dieser Menschen waren meine Probleme doch harmlos. Ich konnte nämlich in mein sicheres, wohlhabendes Heimatland zurückkehren, wann immer ich wollte. Ich war nicht nach Deutschland gekommen, weil mir in meiner Heimat Gewalt oder unsichere politische Verhältnisse drohten, sondern allein der Liebe wegen.
Da im Kurs einige Teilnehmer waren, die ein anderes Alphabet gelernt hatten, ging es etwas langsamer voran. Für englische Muttersprachler ist es zehnmal leichter, Deutsch zu lernen, weil die Buchstaben dieselben sind. Aber jemand, dessen Muttersprache Persisch oder Bulgarisch ist, muss sich zunächst mit dem deutschen Alphabet vertraut machen. Daher krochen wir im Schneckentempo voran, bis auch der Letzte den Stoff verstanden hatte. Obwohl ich normalerweise zur Ungeduld neige und es mir nicht
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