Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
trainieren, waren die Nachrichten. Natürlich muss ich zugeben, dass ich, meiner Beziehung zuliebe, jeden Abend RTL aktuell um 18.45 Uhr schaute. Wenn ich in der Sendung irgendetwas nicht verstanden hatte, konnte ich den Moderator hinterher fragen.
»Honey, worum ging es eigentlich am Schluss der Sendung, als die Pandabären gezeigt wurden? Gibt es etwa eine Epidemie oder Nachwuchs, oder was war da los?«
Peters Erklärungen waren höchst aufschlussreich, teilweise sogar höchst unterhaltsam. Die Sendezeit der RTL-Nachrichten ist für amerikanische Begriffe allerdings äußerst ungewöhnlich.
»Sweetie, warum fangen die Nachrichten um Viertel vor sieben an, statt um halb sieben oder zur vollen Stunde? Ist das für die Zuschauer nicht verwirrend?«
»Nein, die sind daran gewöhnt, und außerdem wollen wir vor ARD und ZDF auf Sendung gehen.«
»Aber das macht keinen Sinn«, beharrte ich, »warum beginnen im deutschen Fernsehen die Sendungen nicht zur vollen beziehungsweise zur halben Stunde? Schließlich ist das hier Deutschland, wo alles straff durchorganisiert ist.«
»Nun ja, der Sendebeginn hat sich bewährt. Die Zuschauer haben kein Problem damit.«
»Honey, ihr Deutschen habt merkwürdige Fernsehzeiten.«
Wieder einmal hatte ich seine geliebte Heimat beleidigt, und trotzdem jagte er mich nicht fort …
Abgesehen von der Sendezeit gibt es einen weiteren großen Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Nachrichtensendungen, denn Erstere werden nicht von Werbung unterbrochen. Das begrüßte ich von Anfang an. RTL aktuell läuft zweiundzwanzig Minuten ohne Werbung. Da geht man besser vor der Sendung noch mal schnell aufs Klo und zum Kühlschrank, denn es gibt keine Unterbrechung.
Die Abendnachrichten von CBS und anderen amerikanischen Sendern sind eigentlich genauso lang, dauern aber trotzdem eine halbe Stunde, weil mehrere Werbeblöcke dazwischengeschaltet werden. Das stört den Ablauf der Sendung, und man ist mehr oder weniger gezwungen, sich Fernsehreklame anzuschauen. Aber manche Zuschauer wissen es vermutlich zu schätzen, dass sie sich in der Zeit eine Cola oder ein Bier oder irgendein ungesundes Zeug aus der Küche holen können, für das zuvor in der Glotze geworben wurde.
Neben den Nachrichten kämpfte ich mich tapfer durch die deutschen Zeitungen und hoffte darauf, eines Tages in der Lage zu sein, all das zu verstehen, was ich las. Ich konnte mir beim Lesen so viel Zeit lassen, wie ich wollte, und, falls nötig, das Wörterbuch zu Rate ziehen. Im Fernsehen ging es manchmal viel zu schnell, um gedanklich immer folgen zu können. Wie auf der Autobahn, wo man auch nicht die Zeit hat, einen Blick auf die Karte zu werfen und sich kurz zu vergewissern, ob die Richtung noch stimmt. Man nimmt einfach die Ausfahrt, von der man glaubt, sie sei die richtige, und entweder hat man Glück oder Pech.
Mit den anspruchsvolleren deutschen Zeitungen wie der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung war ich anfangs überfordert. Stattdessen las ich täglich den Kölner Express : Große Buchstaben, wenig Text und keine allzu komplizierten Satzstrukturen. Das war zwar deftiges Boulevardniveau, aber die New York Post ist auch nicht anspruchsvoller. Der Express war einfach zu lesen und half mir, mit den kulturellen Besonderheiten in Köln vertraut zu werden.
Ich setzte mir anfangs zum Ziel, wenigstens sämtliche Überschriften zu verstehen. Jeden Tag saß ich in unserer Wohnung an dem gefürchteten weißen Tisch mit den unbequemen Stühlen, bewaffnet mit meinem Deutsch-Englisch-Wörterbuch, dem Express und einem Müslibrötchen zur Stärkung. Ich schrieb vermeintlich umgangssprachliche Ausdrücke ab, um Peter später danach zu fragen.
»Honey, was ist ein kölsche Mädel ? Das steht nicht im Wörterbuch.«
»Oh, Kölsch heißen das Bier und der Dialekt, der hier in Köln gesprochen wird, und kölsches Mädel meint einfach eine junge Kölnerin.«
Manche umgangssprachlichen Begriffe waren in meinem Wörterbuch nicht aufgeführt, dessen Seiten schon bald stark abgegriffen waren. Immer wenn ich mir einen neuen Ausdruckmerken konnte, lichtete sich der Nebel wieder ein kleines Stück.
Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal die Frage »War’s das?« verstand, die mir die Verkäuferinnen hinter den Verkaufstheken der Geschäfte immer stellten. Die hatte ich nämlich nicht in meinem Deutschkurs gelernt, doch irgendwann begriff ich, dass im Grunde nur eine Aussage in eine Frage verwandelt und die Reihenfolge der Wörter
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