Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
mit sich: Zum ersten Mal in meinen fünfzehn Jahren erlebte ich in Deutschland ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Wir Amerikaner haben überhaupt kein Problem damit, unsere Nationalflagge am Unabhängigkeitstag an unsere Häuser zu hängen. Auch der Satz »I am proud to be an American« kommt jedem US-Bürger leicht über die Lippen.
Das sieht hier ganz anders aus. Ein deutscher Bekannter sagte einmal zu mir: »Ich kann nicht behaupten, dass ich stolz bin, Deutscher zu sein, denn Stolz hat für mich nichts mit der Nationalzugehörigkeit zu tun. Vielmehr empfinde ich Stolz, wenn ich etwas geleistet habe. Aber trotzdem, ich lebe sehr gerne hier, denn Deutschland ist ein wunderbares Land.« Er drückte auf gewandte Art aus, was vielleicht viele seiner Generation denken.
Trotzdem ist unbestreitbar, dass den Deutschen in Europa ein Stigma anhaftet. Zwar sind wir vor Vorurteilen alle nicht gefeit, ob wir nun aus Amerika oder aus Europa kommen. In Minnesota machen wir uns gerne über die Leute aus unse-rem Nachbarstaat Iowa lustig. Wer von dort kommt, hat erst einmal das Image, ein eher gut genährtes, dafür aber etwas unterbelichtetes Landei zu sein. Allerdings glaube ich, dass die Deutschen von ihren Nachbarn weitaus kritischer beäugt werden.
Auf meiner Suche nach mehr Informationen über das Bild der Deutschen in Europa stieß ich auf eine Umfrage, an der kürzlich Bürger aus insgesamt neunzehn europäischen Ländern teilgenommen hatten. 27 Prozent vertraten die Meinung,die Deutschen seien die unfreundlichsten Europäer. Das ist nicht gerade die Kategorie, in der man ganz vorne sein möchte. Als Grund nannten die Befragten, dass sie sich von der »lauten Art« der Deutschen gestört fühlten. Und ich dachte immer, in Sachen Lautstärke kommt keiner an uns Amerikaner heran … Ein klassisches Klischee, nämlich das des fleißigen Deutschen, tauchte auch in der Umfrage auf. Laut 45 Prozent der Befragten seien die Deutschen das tüchtigste Volk in Europa. Die Engländer belegten Platz eins als Nation mit dem größten Humor, und die Niederländer wurden als besonders aufgeschlossen gesehen. Italien und Spanien waren die Gewinner im Beliebtheitswettbewerb. Italien sei zudem das Land, in dem die meisten Europäer am liebsten leben würden. Kein Wunder, wenn man Pizza und Pasta, Rom und Rotwein als Exportschlager zu bieten hat. Was mich aber am meisten erschreckte: 22 Prozent der Europäer gaben an, von allen Nachbarn würden sie die Deutschen am wenigsten mögen.
Eine solche Einstellung ist mir persönlich fremd. In meiner Heimatstadt im amerikanischen Mittelwesten brachte man uns nicht bei, den Deutschen mit Misstrauen oder Abneigung zu begegnen, obwohl sie einmal unsere Kriegsgegner waren und hunderttausende amerikanischer Soldaten in Europa sterben mussten. Natürlich thematisierten wir in der Schule den Holocaust, das nationalsozialistische Unrechtsregime und seinen Niedergang durch die Alliierten. Aber wir lernten auch, dass sich Deutschland seitdem zu einem friedlichen und demokratischen Land entwickelt hat.
Der Umstand, dass Amerika nie von den Deutschen besetzt war und keine Heimatfront hatte, macht es den Amerikanern möglicherweise leichter, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken. Vielleicht hängt deren Einstellung, vereinfacht gesagt, auch damit zusammen, dass die USA als zusammenhängende Nation gerade mal 230 Jahre alt sind.Die jahrhundertealten Konflikte und Erzfeinde, die sich durch die europäische Geschichte ziehen und viele Länder bis zum heutigen Tag begleiten, kennt man dort nicht.
Es ist kein leichtes Unterfangen, so viele unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Ansichten auf dem so dicht besiedelten Kontinent Europa im Gleichgewicht zu halten. Heute leben die europäischen Völker in Frieden mit ihren Nachbarn. Sie haben gemeinsame Werte, und sie sind wirtschaftlich, touristisch, sicherheits- und umweltpolitisch wie auch in vielen anderen Bereichen aufeinander angewiesen. Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg wie Bomben und Vorurteile werden hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft verschwinden. Allein schon deshalb, damit ich nicht wieder in einem Evakuierungszentrum lande. Außerdem wünsche ich mir, dass die jüngere Generation der Deutschen, meine deutsch-amerikanische Tochter eingeschlossen, nach ihrem Verhalten beurteilt wird und nicht nach der Geschichte.
Aber genug von Bomben und Klischees – in meiner Anfangszeit in Deutschland hatte ich dringendere
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