Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
anzugehen.
Da ich immer glaubte, in einer friedlichen Gegend zu wohnen, war es ein seltsames Gefühl, daran erinnert zu werden, dass hier früher einmal Kriegsgebiet war. Zwar war Bonn nur ein Nebenschauplatz gewesen, aber anscheinend immer noch wichtig genug, dass die Engländer die Stadt bombardier-ten. Ich fragte bei den älteren Nachbarn nach, warum hierBomben abgeworfen worden waren. Die berühmte Brücke von Remagen ist zwar keine zwanzig Kilometer entfernt, aber für einen Irrläufer war das zu weit. Ich erfuhr, dass die Siedlung früher ein deutscher Beobachtungsposten war, weil sie auf einer Anhöhe lag und einen guten Überblick über das Rheintal bot.
Was mich noch mehr überraschte als die Bombe in unserem Vorgarten waren andere Überreste aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, und zwar die teils tief verwurzelten Vorurteile mancher europäischer Nachbarländer gegenüber Deutschland.
Viele Amerikaner haben sehr romantische Vorstellungen von Europa: Ein Kontinent, wo kleinere und größere Staaten mit Königen, Prinzen und Prinzessinnen friedlich nebeneinander leben. Wo die Menschen in die Oper gehen statt zum Baseball. Wo man ausgefallene Speisen auf silbernem Tafelgedeck zu sich nimmt statt einen Hotdog auf die Hand, von dem Ketchup auf das weiße T-Shirt tropft. Wo schöne Menschen in eleganter Aufmachung in Straßencafés sitzen und Cappuccino trinken. Wo Europäer einfach Europäer sind – eine große, glückliche und kultivierte Familie. Auf der westlichen Seite des Atlantiks wird nicht wahrgenommen, dass es zwischen den einzelnen Ländern in Europa große Unterschiede und unterschwellige Konflikte gibt.
Inzwischen habe ich den Eindruck, dass die Abneigung gegen Deutschland seitens anderer europäischer Staaten stärker ist, als es nach außen hin den Anschein hat. Sicher ist es nicht verwunderlich, dass in den Ländern, die ehemals von den Nazis mit brutaler Gewalt überfallen und besetzt wurden, vor allem bei den älteren, aber auch bei einigen jungen Menschen Vorbehalte gegenüber ihren deutschen Nachbarn herrschen.
Das wurde mir in dem Moment bewusst, als ich zum ersten Mal den deutschen Pass meiner Tochter in der Hand hielt.Mit ihm kam auch die Verantwortung, Geena als Teil der nachfolgenden Generation über die Vergangenheit aufzuklären und ihr die richtigen Schlussfolgerungen aus der Geschichte zu vermitteln. Gleichzeitig wollte ich ihr auch die Augen für die Erkenntnis öffnen, dass es wichtig ist, einen Menschen aufgrund seines Verhaltens zu beurteilen und nicht nur wegen der Vergangenheit seines Heimatlandes.
Bevor ich nach Deutschland kam, hatte ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung davon, dass noch immer einige Nachhutgefechte des Zweiten Weltkrieges ausgetragen werden. Manche Briten zum Beispiel übertragen, angestachelt von Boulevard-blättern, den längst gewonnenen Krieg gerne ins Hier und Jetzt. Das zeigte sich auch im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland im Sommer 2006. Deshalb machte es sich der seriöse International Herald Tribune zum Anliegen, auf den Lauf der Geschichte hinzuweisen, und zwar mit folgender Überschrift: »Hinweis an alle englischen Fußballfans: Der Krieg ist aus.« Wow, dachte ich, musste man ihnen das wirklich noch beibringen? Anscheinend schon. Denn auch der britische Innenminister Charles Clarke bat seine Landsleute, bei einer Reise nach Deutschland nicht ständig den Krieg zu erwähnen, und außerdem wies er darauf hin, dass es alles andere als komisch sei, im Stechschritt zu laufen, dem Schiedsrichter »Sieg Heil« zuzubrüllen oder Deutschen gegenüber das Hitler-Bärtchen unter der Nase zu imitieren. Die Warnung schien durchaus angebracht. Manche Fans aus England, so die Erfahrung, singen bei Spielen gegen Deutschland gerne mal ein Lied mit dem Titel Ten German Bombers , in dem es um abgeschossene deutsche Jagdbomber geht, oder sie brüllen Stand up if you won the war . Ich konnte das kaum glauben.
Zu unseren Freunden hier in Deutschland zählen Dutzende von Briten, die alles andere als feindlich gegenüber ihrem Gastland eingestellt sind und sich rundum wohl fühlen im Land der Germanen.
Aber auch bei der WM lief schließlich alles glatt. Als die Fans von der Insel aufs Festland kamen, blieb alles friedlich. Und nicht nur das: Nachdem England bei der WM vorzeitig ausgeschieden war, schwenkten viele englische Fans um und unterstützten das deutsche Team. Es gibt also Hoffnung.
Die WM brachte noch eine weitere schöne Erfahrung
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