Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Wet-T-Shirt-Wettbewerbe in Daytona Beach während der Semesterferien im Frühjahr extremer sind als blanke Brüste. In dieser Zeit kommt man sich dort als Durchschnittsbürger aber wie auf einem anderen Planeten vor, angesichts der hormongeschwängerten Atmosphäre, die unter den Studenten herrscht. Irgendwann kehrt jedoch auch in Daytona Beach der Alltag wieder ein, und die T-Shirts der Frauen bleiben trocken.
Meine Tochter und ich begegneten unserem ersten deutschen Anhänger der FKK-Kultur übrigens nicht an einem Strand in Deutschland. Der Mann gehörte zu einer Gruppe deutscher Touristen, die ihre Vorliebe für hüllenloses Sonnenbaden auf den Kanaren auslebten.
Früher wusste ich so gut wie nichts über die Kanarischen Inseln. Aber in Deutschland lernte ich schnell: Was für Amerikaner Sonnenziele wie Florida, Mexiko oder die Bahamas, sind für die Deutschen die Kanaren. Manche bringen ihre Badesachen dorthin mit, andere eben nicht. Peter, Geena und ich waren schon öfters dort, aber natürlich mit Badehose und Badeanzügen!
Ich erschrak, als ich auf die deutsche Nudistenkolonie stieß. Die paar nackten Gestalten an einer abgelegenen Ecke am Strand ähnelten übrigens nicht im Entferntesten Heidi Klum oder George Clooney. Stattdessen handelte es sich überwiegend um ältere Herrschaften, die mir die Auswirkungen der Erdanziehungskraft und den Verlust der Körpersäftevor Augen führten. Schnell wurde mir klar: Nackt bedeutet nicht automatisch sexy.
Was mich am Anblick der FKK-Anhänger in diesem Moment besonders entsetzte, war der Umstand, dass sie praktisch direkt neben unserem familienfreundlichen Hotel lagen. Wahrscheinlich bin ich im Vergleich zu vielen Deutschen prüde, aber ich konnte es einfach nicht fassen, dass Menschen am Strand ungeniert ihre Hüllen fallen ließen und sich unter die Familien mit ihren Kleinkindern mischten. Meiner Meinung nach gibt es Anblicke, die sollte man empfindlicheren Gemütern ersparen.
Im Grunde hätte mich das alles nicht überraschen dürfen. In meiner Zeit als Sprachanfängerin las ich schließlich regelmäßig den Kölner Express . Diese Zeitung war zwar eine willkommene Sprachlernhilfe, aber sie bildete jeden Tag auch ein neues Girl auf Seite eins ab, das statt der neuesten Mode viel Haut zeigte. Diese jungen Frauen irritierten mich jeden Tag aufs Neue, denn ich hatte den Eindruck, dass die Frauen aufgrund dieser Freizügigkeit Respekt und Achtung einbüßten.
Meine Mutter und Tante reagierten geradezu entsetzt, als sie bei ihrem ersten Deutschlandbesuch diese Boulevardblätter zu Gesicht bekamen. Ich nahm mir daraufhin vor, beim Besuch meiner amerikanischen Verwandten solche Zeitungen aus dem Haus zu verbannen und bei gemeinsamen Unternehmungen einen möglichst großen Bogen um jeden Kiosk zu machen. Ich fürchtete, meine Mutter könnte glauben, dass ich in einem Land von lauter Sexbesessenen lebe. Bis heute habe ich mich noch nicht einmal getraut, ihr von Peters großem Interview für den Playboy zu erzählen …
Meine Reaktion auf die Nackedeis hat sich im Laufe der Jahre verändert. Anfangs war es mir äußerst peinlich, mit so vielen nackten Brüsten und Hintern in der Presse und im Fernsehen konfrontiert zu werden. Inzwischen bin ich etwas gelassener geworden. Mir bleibt ja auch nichts anderes übrig, als sie zu tolerieren. Aber meine eher konservative Erziehung lässt mich der überall präsenten Nacktheit immer noch distanziert gegenüberstehen.
Diese Distanz ist auch in den USA weit verbreitet, und ich finde, dass die Rechte der Frauen dort besser geschützt sind. Es gibt zum Beispiel sehr strenge Gesetze in Bezug auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, während das in Deutschland manchmal eher locker gehandhabt wird.
Das erlebte ich, als ich einmal an einer Redaktionssitzung teilnahm, bei der mir ein Kollege mit einer Krawatte gegenübersaß, auf der eine nackte Frau abgebildet war. Der Schlips war ein Scherzartikel und schien die übrigen Anwesenden kaltzulassen. Mir dagegen kochte das Blut, während ich vierzig Minuten lang diese dämliche Krawatte anstarren musste. Für meine Begriffe war das nicht nur ein höchst unprofessionelles Auftreten, sondern auch eine Beleidigung der weiblichen Kolleginnen. Ich fühlte mich jedenfalls in meiner persönlichen Würde gekränkt und nahm mir insgeheim vor, dem Kollegen vorzuschlagen, diese Krawatte an Weiberfastnacht zu tragen, wenn die wilden Frauen mit ihren Scheren zur Krawattenjagd
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