Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Ordnungsempfinden erheblich gestört, weil er dachte, mein Tennispartner und ich würden auf dem falschen Platz spielen.
»Dieser Platz ist gesperrt, und gerade hing hier auch noch ein Schild. Warum spielen Sie dann hier?«
»Wenn wir ein Schild gesehen hätten, hätten wir den Platz sicherlich nicht betreten«, sagte ich.
»Aber das Schild war eben noch da. Wo ist es jetzt hin?«
Ich war kurz davor zu sagen: »Ich habe es heimlich nach Hause geschmuggelt und über meinem Bett aufgehängt, und dann bin ich auf diesen Platz gegangen, nur um Ihnen auf die Nerven zu fallen.«
Was glaubte der Kerl denn? Dass ich dieses Gesperrt -Schild heimlich in meine Tennistasche gesteckt habe, damit ich auf dem einzigen geschlossenen Platz der ganzen Anlage spielen kann? Für solche Fanatiker kann es nie ordentlich genug sein. Und wenn es nichts zu bemängeln gibt, saugen sie sich einfach etwas aus den Fingern, um sich selbst reden zu hören.
Während diese Art von Ordnungsfanatismus im Grunde genommen noch amüsant ist, muss irgendwann auch mal Schluss sein. Nämlich dann, wenn es um Kinder geht.
Ich selbst liebe das Lachen von Kindern, weil es mir ein beruhigendes Gefühl gibt und ein Zeichen von neuem Leben, Hoffnung und Zukunft ist. Daher war ich wie vom Donner gerührt, als sich ein paar Leute in einem nahe gelegenen Ortsteil, überwiegend ältere Mitbürger, zusammentaten und Unterschriften gegen die Benutzung eines Anwohnerspielplatzes in den Abendstunden sammelten. Offenbar empfanden sie den lauten Kindertumult als Zumutung. Sie forderten, das Schulhofgelände nach Unterrichtsende abzuschließen. Die Begründung war, dass wenigstens zum Feierabend mehr Ruhe undOrdnung herrschen solle. Schließlich könnten sich die Kinder doch woanders austoben.
Aber der Glaube an Recht und Ordnung kann noch weiter gehen und geradezu groteske Formen annehmen, vor allem, wenn sich eine Behörde auf eine gute deutsche Ver-Ordnung stützen kann.
In unserer Nachbarschaft hatte eine Mutter für ihren Sohn bei der Stadt Unterstützung beantragt, weil seine Grundschule nur über einen langen und gefährlichen Fußweg erreichbar war.
Die Verordnung zu diesem Thema besagt: Hilfe gibt es für einen Fußweg von mehr als zwei Kilometern. Also musste die Länge der Wegstrecke festgestellt werden. Dafür zog ein städtischer Angestellter mit der Mutter und einem Messrad los, vermaß den Schulweg und kam von Tür zu Tür auf genau 2004 Meter. Hurra, dachte die Mutter. Doch der pfiffige Angestellte machte an der Schule ein bislang unbenutztes und dauerhaft verschlossenes Hintertor ausfindig, maß die Strecke bis dahin noch einmal ab, und siehe da: Schon war der Schulweg nur noch 1967 Meter lang und damit laut Schülerfahrkostenverordnung nicht mehr förderungswürdig. Der zuständige Leiter des Schulamtes zuckte nur mit den Achseln und erklärte: »Wir sind an die Vorgaben gebunden.«
Ordnung muss eben sein.
Wo es aber ganz sinnvoll wäre, für ein bisschen mehr Ordnung zu sorgen, dort versagt der Ordnungssinn. Zum Beispiel in Schwimmbädern, wo die Einhaltung einiger Regeln die Sicherheit, vor allem von kleinen Kindern, deutlich verbessern könnte.
Einmal war ich an einem warmen Sommertag mit Geena im Freibad, als ein paar halbwüchsige Kids die Rutsche benutzten, ohne abzuwarten, dass meine gerade mal sechs Jahre alte Tochter, die zuvor gerutscht war, aus der Gefahrenzone geschwommen war.
Was passierte? Drei Jungs landeten direkt auf ihr. Ich fischte mein leicht lädiertes Kind aus dem Wasser – von einem Bademeister war weit und breit nichts zu sehen. Naiv, wie ich war, sagte ich den Teenagern, wie gefährlich ihr Verhalten war. Sie lachten mich nur aus. Als ich den Bademeister schließlich gefunden hatte, entgegnete der mir nur: »Und was erwarten Sie jetzt von mir? Was soll ich tun?«
In fast allen öffentlichen Schwimmbädern in Amerika gibt es viel strengere Kontrollen. Oben auf der Plattform der Rutsche sitzt immer ein Bademeister, um den Ansturm zu kontrollieren, und die Rutschwilligen müssen ausreichend lange Abstände einhalten. Darüber hinaus ertönt in amerikanischen Freibädern sowie an Stränden jede Stunde ein lauter Pfiff: eine Aufforderung an alle, kurz aus dem Wasser herauszukommen, damit überprüft werden kann, ob jemand fehlt.
Das vielleicht drastischste Beispiel für das Fehlen jeglicher Ordnung ereignete sich kürzlich an einer Grundschule irgendwo in Deutschland: Die Lehrerin kam in das Klassenzimmer und hatte
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