Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Geenas Badesachen mitgenommen, wohl wissend, dass amerikanische Kinder, egal, wie klein sie sind, niemals nackt herumlaufen. Als wir bei meinen Freunden ankamen, zog ich Geena einen Badeanzug an, damit sie mit den anderen Kindern im Wasser herumtollen konnte. Die Kinder, ungefähr ein Dutzend an der Zahl im Alter von zwei bis sieben Jahren, vergnügten sich mit dem Gartenschlauch, füllten Luftballons mit Wasser und spielten damit in dem kleinen, aufblasbaren Planschbecken.
Kurze Zeit nach unserer Ankunft zog Geena jedoch ihren Badeanzug aus. Ich zog ihn ihr wieder an. Das hielt aber nicht lange vor. Daraufhin versuchte ich es mit einem anderen, trockenen Badeanzug, doch dasselbe Spiel wiederholte sich. Irgendwann gab ich schließlich auf und ließ sie nackig herumspringen, wie sie es von zu Hause im Garten gewohnt war.Das war der Punkt, an dem meine Freundin bemerkte: »Du liebe Zeit, kann es sein, dass ihr euch europäische Sitten angewöhnt habt?«
Na, bitte, dachte ich schmunzelnd, vielleicht bin ich ja doch nicht so verklemmt …
10 ABENTEUER KINDERERZIEHUNG
Kinder mit Eltern unterschiedlicher Nationalitäten übernehmen von dem einen Elternteil dies, von dem anderen das. Sie haben dabei oft ein besseres Gespür als die Erwachsenen, dass es im Leben nicht um den einen richtigen oder falschen Weg geht, nicht um das »so, wie Amerikaner es machen, ist es gut«, sondern lediglich um unterschiedliche Herangehensweisen. Mag sein, dass diese Kinder eine vielschichtigere Persönlichkeit entwickeln, denn sie vereinen zwei Kulturen in sich und werden zu kleinen, höchst anpassungsfähigen Chamäleons. Von solchen Kindern, die in zwei Kulturen aufwachsen, gibt es bereits viele in Deutschland. Meine Tochter Geena gehört dazu.
Als sie geboren wurde, lebte ich bereits dreieinhalb Jah-re in Deutschland und war bereit, mich nach dem Aben-teuer Auswanderung in das Abenteuer Kindererziehung zu stürzen.
Ich selbst war von der strengen Erziehung des amerikanischen Mittelwestens geprägt, als ich hierherkam. Das war nicht verkehrt, denn schließlich lebt in Minnesota ein sehr solider Menschenschlag. Die Leute sind aufrichtig, freundlich, tüchtig und lebenslustig. Aber in Minnesota hat man auch sehr genaue Vorstellungen davon, wie man Kinder erzieht, und das äußert sich nicht nur darin, dass Kleinkinder nicht nackt baden sollten.
Ich nahm an, dass sich die deutsche Art der Kindererziehung von der amerikanischen in einigen Punkten unterscheiden würde und war daher neugierig, was ich hier über Kinder, Erziehung und was sonst noch dazugehört lernen sollte.
Meine ersten Erfahrungen als Mutter in Deutschland waren rundum positiv. Einen besseren Arzt als Dr. Heuschen hätte ich nicht finden können, und die Krankenschwestern auf der Entbindungsstation des Krankenhauses der Augustinerinnen in Köln waren richtig klasse.
Das Gesundheitssystem in Deutschland sorgt glücklicherweise dafür, dass Mutter und Kind sich nach der Geburt erst einmal erholen dürfen. Ich blieb nach der Kaiserschnittentbindung eine Woche im Krankenhaus, denn man ließ mich mit meinem Baby erst nach Hause gehen, als mich wieder halbwegs normal fühlte.
So etwas ist nicht selbstverständlich. In Amerika sind Geburten eine Sache von ein paar Tagen. Eine meiner besten Freundinnen aus Minnesota bekam ihr Baby ungefähr zur selben Zeit wie ich, ebenfalls per Kaiserschnitt. Die OP verlief reibungslos, aber bereits nach drei Tagen wurde sie mit ihrer kleinen Tochter aus dem Krankenhaus entlassen. Sie hatte keine andere Wahl, denn die amerikanischen Krankenversicherungen sind der festen Überzeugung, dass drei Tage genügen, damit sich eine Mutter von einem Kaiserschnitt erholt.
Die Wirklichkeit sieht aber oft ganz anders aus: Kaum war meine Freundin zu Hause, kam es zu Komplikationen, weil sie einfach zu schnell wieder mit ihrem normalen Leben beginnen musste. Für sie hieß es nun: Zurück ins Krankenhaus.
Für deutsche Mütter wird besser gesorgt, auch wenn es darum geht, sich Zeit für ihren Nachwuchs zu nehmen. Das ist ein großer Vorteil, und ich bin froh, dass ich meine Tochter hier zur Welt bringen konnte. Und das war erst der Anfang!
Noch heute bewundere ich die großzügigen Regelungen zu Mutterschutz, Erziehungsurlaub und anderen Familienrechten in Deutschland, vom Anspruch auf Kindergeld mal ganz zu schweigen.
In Amerika ist man davon weit entfernt. Dafür spricht allein die Tatsache, dass die USA neben Australien das einzige
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