Deathbook (German Edition)
Dänemark den Anfängen des Deathbook auf die Spur gekommen. Die Behörden hatten sich mit dem Löschen der Seite zufriedengegeben. Was hatte der Blogger gesagt? Es waren Fotos von aufgebahrten Toten dabei gewesen? Das war der nächste Hinweis, den ich übersehen hatte.
Aber zu dem Zeitpunkt hatte mir noch ein entscheidendes Detail gefehlt: Da kannte ich Ann-Christin noch nicht, wusste nicht, dass sie vom Deathbook-Killer verfolgt wurde, und hatte keine Ahnung davon, dass ihre Mutter erst vor wenigen Tagen zu Grabe getragen worden war.
Dieses letzte Puzzleteil hatte ich erst jetzt, und es war ausgerechnet Gustav Musiol, der es mit seiner Leichenwagen-Bemerkung dicht genug an die Lücke schob, sodass ich den Zusammenhang erkennen konnte.
Dänemark, QR -Codes auf Grabsteinen, Fotos von aufgebahrten Toten, die ständigen Hinweise auf den Tod, ein dunkler Wagen, der wie ein Leichenwagen aussah, ein Todesfall in Ann-Christins Familie, eine Beerdigung …
Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, fragte ich mit belegter Stimme: «Wissen Sie, welches Beerdigungsinstitut für Ann-Christins Mutter zuständig war?»
«Klar weiß ich das», sagte Musiol. «Die liegen mir dauernd wegen der Rechnung in den Ohren, dabei habe ich noch nicht einmal Geld von der Versicherung bekommen, immerhin war das ja ein Unfall, und …»
«Den Namen!», unterbrach ich ihn barsch.
«Quindt. Es ist das Beerdigungsinstitut Quindt hier in der Stadt. Warum wollen Sie das wissen?»
W arum starb er nicht?
Er hätte längst tot sein müssen.
Die Kamera war in zwei Meter Höhe auf den hellbraunen offenen Sarg gerichtet.
Seit einer Stunde nahm sie nun bereits auf, aber es lief nicht wie geplant, denn das Opfer lebte noch. Es war natürlich schwierig einzuschätzen, wie lange die Luft unter der Folie noch reichen würde. Alles über einer halben Stunde erschien ihm jedoch unrealistisch. Vielleicht hatte er nicht sorgsam genug gearbeitet und einen Fehler gemacht?
Er hatte zwanzig Rollen Klarsichtfolie gekauft, und zwar die extra reißfeste Qualität. Acht Rollen hatte er verbraucht, um den offenen Sarg komplett in mehreren Schichten einzuwickeln. Die einzelnen Bahnen lappten breit übereinander, eigentlich war es unmöglich, dass noch irgendwo Luft in den Sarg gelangte.
Es war ein wunderbares Arrangement gewesen: Die transparente Folie gestattete der Kamera einen hervorragenden Blick in den Sarg, der innen weiß ausgepolstert war. Das Opfer wirkte fast wie Graf Dracula in einer billigen Hollywood-Produktion.
Er hatte sich schon zu dieser einzigartigen Idee beglückwünscht. Es war schließlich nicht einfach, immer wieder neue beeindruckende Motive für seine Videos zu finden.
Aber er hatte sich wohl zu früh gefreut.
Dadurch, dass der Mann schon so lange unter der Hülle atmete, hatte sich an der Unterseite der Folie sehr viel Kondenswasser abgesetzt. Das Gesicht des Mannes war kaum noch zu erkennen.
Er hatte zwei Möglichkeiten: Entweder entfernte er die Folie und wickelte den Sarg neu ein, oder er ließ alles so, wie es war, und wickelte einfach ein paar weitere Schichten über die bereits vorhandenen – in der Hoffnung, dass der Sarg dann wirklich luftdicht abgeschlossen war.
Er starrte den Sarg an und dachte nach.
Normalerweise spielte es keine Rolle, wie lange es dauerte, bis der Anwärter tot war. Heute aber schon. Ann-Christin war so weit, er brauchte die Black-Magic-Kamera. Nur mit ihr konnte er einen qualitativ hochwertigen Film drehen, und mit weniger wollte er sich nicht zufriedengeben. Gerade bei Ann-Christin nicht.
Der Mann unter der Folie war ihm eigentlich egal. Na gut, nicht ganz egal, schließlich gehörte er zu den Verschmutzern des Internets, jenen Usern, die jeden Respekt vor dem Tod verloren hatten und ihn als Geschäftsgrundlage für irgendwelche miesen Ego-Shooter-Spiele missbrauchten. Nein, egal war er nicht, er war im Grunde sogar ein ideales Mitglied des Deathbook.
Trotzdem hätte er jetzt viel lieber seine Schöne aufgenommen. Er war sich sicher, bei ihr endlich den Durchbruch zu schaffen. Wenn er daran dachte, dass er dabei zuschauen würde, wie Thanatos während des Übergangs Ann-Christins Seele begleitete, wurde er richtig euphorisch.
Er nahm eine Rolle Klarsichtfolie aus dem Karton auf der Arbeitsfläche und begann, den Sarg abermals zu umwickeln. Ganze vier Rollen spannte er darum. Schließlich war die Folienschicht so dick, dass der Mann darunter nicht mehr zu sehen war. Es hatte also
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