Deathbook (German Edition)
übernehmen?», fragte der Kollege.
«Ja, ich mach das.»
Der Beamte schien erleichtert und trat beiseite.
Mit dem bisschen Plattdeutsch, das Manuela von ihrem aus Niedersachsen stammenden Opa gelernt hatte, begrüßte sie Ludwig Herrenhäuser und stellte sich als Kommissarin Sperling vor. Okay, das war nicht ganz richtig, noch nicht, aber es klang einfach so gut.
Herrenhäuser quasselte unbeeindruckt weiter. Die Hälfte seines Sermons verstand Manuela nicht, und nach einem Blickwechsel mit Andreas wusste sie, dass es ihm ebenso ging.
«Mast auf Dato», polterte der pensionierte Richter und schob seine dicke Brille die Nase hinauf. Er schwitzte stark. Schweißperlen liefen rechts und links an seinen schlaffen Wangen hinab.
«Auf dem Wagen stand ‹Mast auf Dato›!»
M ast auf Dato.
Drei Worte, die mir den Kopf zu sprengen drohten. Und das um drei Uhr in der Nacht.
Mast auf Dato.
Kauderwelsch, auf das ich mir keinen Reim machen konnte.
Seit einer halben Stunde war ich zu Hause, aber die drei Worte quälten mich weiter. Tausende Gedanken standen gleichzeitig an der Kasse, um abgefertigt zu werden, und ich war ein verdammt müder Kassierer. Mir fielen fast im Stehen die Augen zu, aber ich wollte nicht schlafen. Denn eines wusste ich genau: Wenn ich mich jetzt hinlegte, war die Spur verloren. Es gab eine ganz einfache Technik, wie man von logisch strukturierter auf unlogische, kreative Denkweise umschalten konnte: nicht schlafen. Keine Ahnung, ob andere Autoren diese Technik kannten und anwendeten, bei mir jedenfalls funktionierte sie. Wenn ich an einer bestimmten Stelle im Text überhaupt nicht weiterkam, hatte es bisher immer geholfen, das Schreiben auf die Nacht zu verlegen. Müde, aber aufgeputscht durch Kaffee, gingen die Synapsen im Gehirn ganz neue Verbindungen ein.
Mast auf Dato
wollte sich trotzdem nicht entschlüsseln lassen, und das frustrierte mich.
Vielleicht war es auch einfach nur Unsinn. Aber es war alles, was ich hatte. Die Aussage eines alten Mannes, der sprach, als hätte er einen Waschlappen im Mund. Manuela hatte ein Dutzend Mal nachfragen müssen. Am Ende hatte der alte Mann es aufgeschrieben. Zum Glück hatte ich Manuela über die Schulter schauen können.
Mast auf Dato
hatte er geschrieben. Genau so, wie er es ausgesprochen hatte.
Manuela hatte mich bemerkt, den Zettel verschwinden lassen und mich angewiesen, die Ermittlungen nicht zu stören. Sie hatte mich sogar nach Hause geschickt. Zwar war ich Bestandteil dieser Ermittlungen, aber nicht als Ermittler, sondern als Zeuge. Und, wie ich argwöhnte, mittlerweile als Verdächtiger.
Manuela Sperling selbst war aufgrund ihres Dienstranges und der Tatsache, dass sie sich noch in der Ausbildung befand, im Rahmen der Ermittlungen nur Assistentin. Aber sie war wenigstens dabei. Ob mir das half? Ich war mir nicht sicher. Die Blicke, die sie mir draußen in der Kiesgrube zugeworfen hatte, waren schwer zu deuten. Ich hatte versucht, mich in sie hineinzuversetzen.
Zuerst hatte ich die Leiche von Thaumann in seiner Wohnung gefunden, zwar die Polizei gerufen, aber anonym. Dann hatte ich mich aus dem Staub gemacht, um zwei Tage später Manuela einzuweihen, allerdings ohne die Sache mit der Notiz zu erwähnen – auch von dem Spionageprogramm auf Thaumanns Rechner wusste bisher niemand etwas. Ich hatte Manuela anhand der Notiz dann aber zu einer weiteren Leiche geführt, die auf einer Art Scheiterhaufen verbrannt war. Und das alles, weil ich mich entschlossen hatte herauszufinden, wie meine Nichte Kathi ums Leben gekommen war – das musste mich in den Augen der Polizei höchst verdächtig machen. Womöglich war ich nur deshalb nicht verhaftet worden, weil Manuela interveniert hatte.
Noch stand nicht mit Sicherheit fest, wann die Person in dem Brennholzhaufen gestorben war. Ich hatte etwas von ein oder zwei Tagen gehört. Damit bestand die Möglichkeit, dass sie am gleichen Abend wie Thaumann gestorben war. Ich hatte für den Zeitraum kein Alibi. Klar, ich war bei Thaumann in der Wohnung gewesen, aber niemand hatte mich dort gesehen. Die Kiesgrube war hundertfünfzig Kilometer von Lechfelden entfernt, ich hätte die Wegstrecke problemlos in einer Nacht schaffen können. Sobald die Rechtsmedizin den Todeszeitpunkt des verbrannten Opfers genauer bestimmt hatte, würde ich erneut ins Fadenkreuz der Ermittlungen geraten. Ein einziges Indiz, das auf mich als Täter hindeutete, und ich würde in Untersuchungshaft wandern. Das war mir klar. Daran
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