Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
Doch es erschien ihr unfassbar, dass er ein Verbrecher gewesen sein sollte. Ein Brandstifter. Ein Mörder.
Patrick Flannery, der ›unsichtbare Feuerteufel‹? Nein … Nein …
Und was hatte es mit den Initialen der Namen seiner Kinder auf sich?
Sollte es ein schlechter Scherz sein, dass er sie so taufte, dass die Anfangsbuchstaben das Wort ›Arsons‹ – Brandstifter – ergaben? Was für ein Mann tat so etwas?
Sie bremste vor einer roten Ampel ab, trommelte nervös mit den Fingern aufs Lenkrad und versuchte, ihre Wut zu beherrschen. Im Grunde war sie auf so ziemlich jeden wütend, den sie kannte, ob tot oder lebendig. Zum Beispiel auf Brendan Giles, den Feigling, der sie fluchtartig verließ, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Auf Ryan, der am Ende keine andere Sprache mehr gekannt hatte als die der Fäuste. Auf ihre Zwillingsbrüder, denen sie sich immer am engsten verbunden gefühlt hatte und die sie beide, ob absichtlich oder nicht, im Stich gelassen hatten.
»Zum Teufel«, fauchte sie leise. Als die Ampel auf Grün umschaltete, trat sie so vehement aufs Gas, dass die Reifen des Mazda kreischten.
Sie fuhr an St. Theresa vorbei, schob die Gedanken an die dunklen heiligen Hallen der Schule von sich. Wenig später hielt sie vor dem Haus ihrer Mutter am Straßenrand. Es hatte sich seit ihrer Kindheit kaum verändert. Shannon fragte sich einen Moment lang, ob womöglich auch hier alles Lüge war. Allmählich gelangte sie zu der Überzeugung, dass nichts, worauf sie sich je verlassen hatte, nichts, woran sie geglaubt hatte, so war, wie es schien.
Energisch marschierte sie auf das Haus zu. Sie war nicht in der Stimmung für Entschuldigungen, für Plattitüden, für irgendetwas anderes als die Wahrheit.
Zwei Stufen auf einmal nehmend lief sie die Verandatreppe hinauf. Vor der Haustür blieb sie stehen, legte beide Hände gegen die dicke Eichenfüllung und atmete tief durch. Dann klopfte sie zweimal, öffnete die unverriegelte Tür und trat ein.
»Shannon?« Sheas Kopf tauchte über der halbhohen Trennwand zum Eingangsflur auf. Sein Blick war düster und gequält, seine Gesichtshaut spannte sich. »Schön, dass du kommen konntest«, sagte er mit einem Hauch von Sarkasmus.
Shannon beachtete ihn nicht, sondern eilte schnurstracks die Treppe hinauf. Sie war nicht bereit, sich Schuldgefühle einreden zu lassen. Zweimal hatte sie angerufen und erklärt, wann sie kommen würde. »Wie geht es ihr?«
»Was erwartest du?«
»Nichts Gutes.«
»Sie verkraftet es schwer. Oliver und sie hatten …«
»Ein sehr inniges Verhältnis.«
Shea nickte, schob die Hände in die Gesäßtaschen. Er sah aus, als sei er endlos vor der Schlafzimmertür auf und ab gelaufen. Das monotone Ticken der alten Standuhr im Eingansflur störte die Stille. »Ich habe heute Morgen den Arzt gerufen und Beruhigungsmittel aus der Apotheke besorgt«, sagte er. »Sie hat ein paar Tabletten genommen und ist jetzt etwas gefasster.«
»Wo sind die anderen?« Sie hatte halb damit gerechnet, ihre Brüder hier anzutreffen, Sheas Frau, vielleicht sogar Cynthia oder Roberts Kinder. Doch in dem alten, düsteren Haus herrschte Grabesstille.
Shea zuckte die Achseln. »Aaron hat sie angerufen, sagte, er würde später reinschauen. Aber bis jetzt ist er noch nicht aufgetaucht. Robert … Wer weiß, was in letzter Zeit in Robert vorgeht? Er ist am Boden zerstört.«
»Sind wir das nicht alle?«
Shea schnaubte zustimmend. »Ich gehe mal auf die Veranda, eine Zigarette rauchen«, sagte er und zog ein Päckchen Marlboro Lights aus der vorderen Jeanstasche. »Sie« – er wies mit einer Kopfbewegung auf die offene Schlafzimmertür – »schläft jetzt sicher erst mal eine Weile.« Er klopfte eine Zigarette aus der Schachtel und schob sie zwischen die Lippen. »Eine ältere Dame, die Mom aus der Kirchengemeinde kennt, Mrs. Sinclair, kommt her und bleibt ein paar Tage bei ihr. Sie war früher Krankenschwester. Pater Timothy hat das arrangiert, und ich halte es für eine gute Idee.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Sie müsste bald hier sein.« Damit wandte er sich ab und wollte die Treppe hinuntersteigen.
»Warte«, hielt Shannon ihn zurück. »Ich muss mit dir reden.« Bevor er etwas erwidern konnte, trat sie in das abgedunkelte Schlafzimmer, in dem ihre Mutter trotz der drückenden Hitze unter einer dicken Bettdecke lag. Die Vorhänge waren zugezogen.
Maureen wirkte klein und blass in dem großen Ehebett, das sie über vierzig Jahre lang
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