Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
mit ihrem Mann geteilt hatte. Auf dem Nachttisch standen ein halbvolles Glas Wasser, eine leere Teetasse und mehrere Tablettenröhrchen neben einer Schachtel mit Papiertüchern, der Bibel und ihrem Rosenkranz, außerdem ein Aschenbecher mit mehreren Kippen und eine halbleere Schachtel Salem, die Marke, die Maureen bevorzugt hatte, ehe sie vor über zwanzig Jahren das Rauchen aufgab.
Shannons Herz wurde schwer. So am Boden zerstört hatte sie ihre Mutter noch nie gesehen, nicht einmal beim Begräbnis ihres Mannes.
Maureens Augen waren halbgeschlossen, ihr rotes Haar, sonst immer ihr ganzer Stolz, war wirr und zerzaust.
»Hi, Mom.« Shannon trat näher, setzte sich auf die Bettkante und ergriff die Hand ihrer Mutter. »Wie geht es dir?«
Maureen antwortete nicht. Es brach Shannon das Herz.
»Ich weiß, es ist schwer.«
Immer noch keine Reaktion.
»Mom?«
Maureen sah sie an. Ihre Augen waren gerötet, ihr Blick glasig. Ihre farblosen Lippen verzogen sich zu einem matten Lächeln. »Shannon«, flüsterte sie und schloss ihre zarten Finger um Shannons Hand. »Oliver. Mein lieber, lieber Oliver.«
»Ich weiß, Mom, ich weiß.«
»Warum nur?«
»Gott, wenn ich das wüsste.«
Tränen traten in Maureens Augen. »Er ist jetzt in Gottes Hand«, sagte sie und tastete mit der freien Hand nach den Zigaretten.
»Mom, bitte, du solltest im Bett nicht rauchen … Du solltest überhaupt nicht rauchen. Es tut dir nicht gut.«
Ihre Mutter ließ die Hand auf die geblümte Bettdecke sinken. Sie wirkte erschreckend mager.
»Das spielt keine Rolle«, flüsterte sie mit belegter Stimme.
»Doch, natürlich.«
»Ich bin einfach so müde«, sagte sie.
»Ruh dich aus«, riet Shannon. Doch sie musste die Wahrheit erfahren. Auch wenn ihre Mutter trauerte, litt und durch die Beruhigungsmittel lethargisch war. »Aber … Kannst du mir von Dad erzählen?«
»Von deinem Vater?« Sie schlug die Augen auf, und die geweiteten Pupillen schienen klarer zu werden.
Shannon atmete tief durch. Sie fasste die zerbrechliche Hand ihrer Mutter fester. »War er der ›unsichtbare Feuerteufel‹?«
»Der was?« Sie versank schon wieder in Müdigkeit, konnte kaum die Augen offen halten.
»Der Brandstifter?« Shannon wartete auf eine Antwort, doch ihre Mutter war bereits eingedämmert. »Mom, was hat es mit unseren Namen auf sich? Warum wurden wir…?«
»Was denn, Shannon?« Obwohl Shea leise sprach, schien seine Stimme durch das Zimmer zu dröhnen. »Warum wurden wir was?«
Shannon ließ Maureens Hand los, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe und ging zur Tür, wo ihr Bruder wartete. »Du hast gelauscht.«
»Du hast Mom seltsame Fragen gestellt«, warf er ihr mit undurchdringlicher Miene vor.
Sie schloss die Schlafzimmertür. »Ich sagte doch: Wir müssen reden. Und zwar auf der Stelle.« Sie lief ihm voraus die Treppe hinunter, durch die Küche und die Hintertür auf die Veranda, wo ihre Brüder am Vortag die Köpfe zusammengesteckt und miteinander getuschelt hatten. Seitdem schien eine Ewigkeit vergangen zu sein.
»Ich will, dass du ehrlich mit mir bist«, verlangte sie.
»Worum geht es?« Er zündete seine Zigarette an.
»Um den ›unsichtbaren Feuerteufel‹. Um uns … unsere Familie.« Dann berichtete sie ihm alles, was sie am Morgen von Nate gehört hatte.
Shea rauchte schweigend, unterbrach sie nicht mit Fragen, sondern hörte nur zu, während im Garten die Wespen im Apfelbaum summten und sich im Vogelbad die Meisen tummelten. Schließlich fragte Shannon: »Wie viel davon trifft zu, Shea?«
Er nahm einen letzten Zug und blies den Rauch aus dem Mundwinkel aus. »Ich wüsste nicht, was es jetzt noch bringen sollte, Dads Ruf zu ruinieren.«
»Soll das heißen, er war tatsächlich der Brandstifter?« Sie hatte geglaubt, sie sei auf alles gefasst, aber jetzt musste sie sich doch am Geländer festhalten.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.« Er drückte die Zigarette in der feuchten Erde eines Blumenkübels mit pinkfarbenen Petunien aus.
»Und unsere Namen?«
»Ein unsäglicher Scherz.«
»Du wusstest davon?« Sie war außer sich.
»Ich hatte den Verdacht.«
»Aber Ryan …?«
»War auch kein Unschuldsengel.« Shea schlug nach einer Mücke, die ihm um den Kopf schwirrte.
»Mit seinem Tod hat die Brandserie geendet.«
»Ich glaube, Dad hatte Angst.«
»Du weißt es nicht?«
Shea schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts Genaues«, sagte er und wandte den Blick ab, sah über den Zaun hinweg aufs
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