Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
nickte er nur knapp. »Mach keine Dummheiten.« Er sah Travis fest an.
»Nein.«
Carters Handy klingelte. Er meldete sich rasch, und sekundenlang keimte in Travis wieder die Hoffnung auf, dass es Nachricht von Dani gab, dass sie wohlauf war, dass …
Doch Carters Gesichtsausdruck sagte alles. Der Sheriff hörte aufmerksam zu und schüttelte den Kopf. Travis’ Hoffnung zerrann wie Eis in der Wüste. Es war sinnlos. Sie würden nichts von ihr hören. Und außerdem hatte die Polizei genug mit dem Mord an Blanche Johnson zu tun.
Ohne einen weiteren Blick zu Carter ging er ins hintere Zimmer – sein Schlafzimmer, das er früher mit Ella geteilt hatte –, um seine Sachen zu packen. Travis wusste, wo er mit seiner Suche nach Dani anfangen würde. Er hatte der Polizei bereits einen Hinweis darauf gegeben, und es hatte geheißen, sie wollten ›der Sache nachgehen‹.
Nun, das würde er jetzt selbst tun, indem er diejenige Person genauestens unter die Lupe nahm, die er am meisten fürchtete, seit er Dani hatte: ihre leibliche Mutter. Er hatte die Frau in all diesen Jahren ständig im Auge behalten und wusste, dass sie keineswegs eine Heilige war. Vor einiger Zeit hatte sie sogar unter Mordanklage gestanden, war jedoch freigesprochen worden. Er hatte darüber gelesen und nicht widerstehen können, sie sich leibhaftig anzusehen.
Die Gelegenheit ergab sich, als er beruflich in San Francisco zu tun hatte, wo er für eine Klientin einen zahlungsunwilligen Vater aufspüren musste. Er hatte einen kurzen Abstecher nach Santa Lucia gemacht und dort wie die Presseleute auf den Stufen des Gerichtsgebäudes gewartet. Reporter, mit Mikrofonen und Kameras bewaffnet, lauerten an strategisch günstigen Stellen. Schaulustige saßen unter den Bäumen. Es war zu Beginn des Frühlings gewesen, bleiches Sonnenlicht schien durch das Laub der Bäume und malte Fleckenmuster auf den Boden.
Kurz nach siebzehn Uhr kam Bewegung in die Menge, die Türen des Gerichtsgebäudes wurden geöffnet, und dann sah er sie: die Angeklagte. Sie war klein und zierlich und trug ein konservatives marineblaues Kostüm, das, wie Travis vermutete, ihre Anwaltskanzlei für sie ausgesucht hatte. Neben ihr gingen mehrere breitschultrige Männer, die dem Aussehen nach wahrscheinlich ihre Brüder waren. Außerdem begleitete sie ein älterer Herr mit weißer Mähne, einer Brille mit schwarzem Gestell und einem verkniffenen Gesicht. Travis vermutete, dass er Shannons Anwalt war. Seine teuer aussehende Aktentasche und sein makelloser grauer Anzug, die blaue Seidenkrawatte mit dem festen Knoten und das blütenweiße gestärkte Hemd wiesen ihn eindeutig als Juristen aus.
Die Gruppe ging die Stufen hinunter und zu einem Parkplatz, der an das Gebäude mit der Marmorfassade angrenzte. Shannon Flannery hielt sich sehr aufrecht, das Kinn vorgereckt, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Von ihrem Gefolge umringt wie ein verdammter Star, schritt sie zu den Wagen, ohne die Reporter zu beachten, die sie umschwärmten.
Die Kameras surrten, Mikrofone wurden ihr vor das Gesicht gehalten, die Reporter bombardierten sie mit Fragen.
»Ms Flannery, werden Sie zu Ihrer Verteidigung in den Zeugenstand treten?«, rief eine große, blonde Frau, während sie ihrem Kameramann Handzeichen gab.
Eine andere Stimme, diesmal männlich, brüllte: »Ms Flannery, Sie behaupten, Sie seien unschuldig, aber Ihr Anwalt hat von Misshandlungen gesprochen. Das klingt wie eine Verteidigung, so, als hätten Sie doch etwas mit dem Tod Ihres Mannes zu tun.«
»Und wie kommt es, dass Sie kein Alibi vorweisen können?«, warf ein jüngerer Mann mit dichtem, rotem Schnurrbart und gerötetem Gesicht ein. Er stand nicht weit von Travis entfernt und führte sich auf, als witterte er die Story seines Lebens. Wie die Wölfe, die sich um ein verwundetes Reh scharen, schoss es Travis durch den Kopf. »Man fragt sich, was Sie in der Mordnacht getan haben«, setzte der Mann hinzu.
Shannon versteifte sich, drehte sich langsam zu dem eifrigen Reporter um und schob ihre Sonnenbrille hoch, um sich die kastanienbraunen Locken aus dem Gesicht zu streichen. Es war ein schönes Gesicht mit markanten, aber regelmäßigen Zügen. Ihre Augen, tiefliegend und von auffallendem Grün, mit dichten, dunklen Wimpern, wurden schmal. Sie zog beinahe höhnisch die Brauen hoch und presste in stummer, beherrschter Wut die Lippen zusammen. Obwohl der Anwalt ihr warnend eine Hand auf den Arm legte, antwortete sie. »Kein
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