Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
klar, warum er alle paar Minuten auf die Uhr gesehen hatte: Es war eine Falle. Er hatte sie hergebracht, um noch einmal gemeinsam mit den beiden Brüdern zu versuchen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Toll. Genauso wie damals, als sie noch klein war, die Jüngste der sechs Flannerys, das einzige Mädchen.
»Macht es kurz«, verlangte sie, während alle vier am Küchentisch Platz nahmen. Ein halbes Dutzend winziger Fruchtfliegen schwirrte über dem Korb mit den Bananen und Äpfeln.
»Die Ermittler haben an der Brandstelle eine seltsame Entdeckung gemacht«, begann Shea. »Am Brandherd wurde augenscheinlich Kerosin ausgegossen, und zwar in einer bestimmten Form. Das Muster ist auf dem Betonboden, also auf einem nicht brennbaren Untergrund, zu erkennen.«
»Und das heißt?«, fragte Shannon unbehaglich.
»Es heißt, dass der Brandstifter dieses Muster mit Absicht erzeugt hat, damit wir es finden.« Shea zog einen kleinen Notizblock aus der Gesäßtasche. »Die Brandspur hatte diese Form, sieh mal … ein Fünfeck, oder auch eine Raute, von der eine Spitze abgeschnitten wurde.«
Shannon betrachtete die Figur und schüttelte den Kopf. »Und?«
»Es ist die gleiche Form wie bei der Geburtsurkunde, die du auf der Veranda gefunden hast. Das Original befindet sich im Labor, aber hier habe ich eine Kopie. Sieh mal: Die Ecken sind so abgeflämmt, dass eine ganz ähnliche Form entstanden ist. Ich wette, das Papier wurde sehr sorgfältig mit einem Schutzmittel eingesprüht, damit es nicht vollständig verbrannte, sondern diese Form zurückblieb.«
Shannons Mund war plötzlich ganz trocken, als sie die Kopie der Geburtsurkunde ihres Kindes auf dem Tisch neben Sheas Zeichnung liegen sah.
»Nicht identisch, aber auffallend ähnlich.«
»Aber da ist noch etwas in der Mitte der Figur«, stellte Shannon bei näherem Hinsehen fest und zeigte auf Sheas Block. »Eine Zahl. Eine Sechs … oder eine Neun.«
»Eindeutig eine Sechs«, erklärte Aaron. »Wenn wir davon ausgehenden, dass die Geburtsurkunde nicht auf dem Kopf steht und dass die Feuerspur die gleiche Form hat, dann weist die Spitze des Fünfecks nach unten. So.«
Mit heftig klopfendem Herzen starrte sie auf die Papiere. Sollte das ein makaberer Streich sein? Nein … eine Drohung. Eine dreiste, herausfordernde Warnung. Trotz der drückenden Schwüle überlief es sie eiskalt. Eine Drohung, die irgendwie mit dem Kind zusammenhing, das sie seit der Geburt nicht mehr gesehen hatte … »Was hat es zu bedeuten?«, fragte sie flüsternd. Ihre Brüder starrten wortlos vor sich hin. Ihre blauen Augen waren dunkel vor Zorn, ihre Münder verkniffen, die Kiefermuskeln traten hervor.
Schließlich ergriff Shea das Wort. »Wir hatten gehofft, dass dir etwas dazu einfällt.«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, nichts. Wer könnte …?«
»Wir werden ihn finden«, sagte Aaron mit Nachdruck, doch Shea und Robert blickten zweifelnd drein.
»Vielleicht sollten wir das Travis Settler zeigen.« Shannon schwirrte der Kopf bei dem angestrengten Versuch, einen Zusammenhang zwischen dem Adoptivvater ihres Kindes, dem Brand und der angesengten Geburtsurkunde auf ihrer Veranda herzustellen. »Das alles kann doch nicht zufällig zusammentreffen: Er kommt nach Santa Lucia, meine Tochter ist verschwunden, und ich finde einen Teil ihrer Geburtsurkunde an ihrem Geburtstag auf meiner Veranda …«
»Als du die Geburtsurkunde gefunden hast, war er noch in Oregon«, wandte Shea ein.
»Bist du sicher?«, fragte Aaron.
»Sieht so aus. Wir gleichen das mit der Polizei von Oregon und dem dortigen Sheriff ab.«
»Aber er war zufällig genau zu dem Zeitpunkt hier, als das Feuer ausbrach«, sagte Robert.
»Das stimmt.« Shea nickte.
Shannon straffte die Schultern. »Also, worauf warten wir noch? Reden wir mit ihm.«
12.Kapitel
D er letzte Mensch, den Travis zu sehen erwartete, als er die Tür öffnete, war Shannon Flannery. Doch da stand sie unter dem Vordach der Veranda vor dem Motelzimmer. Ihr Gesicht war voller Schnittwunden und Prellungen, selbst das dickste Make-up hätte diese Blutergüsse nicht überdecken können. Sie schien sich allerdings auch keine große Mühe gegeben zu haben, sie zu kaschieren. Shannon stand zwischen drei Männern, die um einsachtzig groß waren und einander auffallend ähnelten – allem Anschein nach waren sie Brüder. Zwei von ihnen erkannte Travis wieder: Sie hatten Shannon damals nach der Gerichtsverhandlung aus dem Gebäude und zum Wagen
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