Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
Vom Netzwerk:
hatten. Er sah jetzt die Sterne, glitzernde Flecken an einem tiefschwarzen Himmel. Ein würziger Kräutergeruch stieg ihm in die Nase, als der Wagen gegen eine Hecke strich. Und als er die Hand nach den Blättern ausstreckte, fühlte er sie weich an seiner Haut.
      Dann führte der Weg um eine Biegung, und er sah eine dunkle Silhouette, die sich gegen den helleren Himmel abhob. Sie erschien ihm ebenso riesig wie eines der großen Schiffe auf dem Fluß. Er schnappte verwundert nach Luft... nichts hatte ihn je auf die schiere Größe und Grandezza dieses Anwesens vorbereitet.
      Und während ihm fast die Augen aus dem Kopf fielen, hörte er John an seiner Seite leise lachen. »Miß Edwinas Großvater hat es gebaut. Damals verstand man sich noch aufs Häuserbauen. Ist nicht wie die modernen Dinger, die sie jetzt hochziehen. Muß ein toller Anblick gewesen sein ... mit Dienstboten und mehr Gärtnern, als du dir vorstellen kannst.«
      Lewis hörte nur halb zu. Sein Blick hing wie gebannt an der mächtigen Silhouette des Hauses, als sie um das Gebäude herumfuhren. Die großen Türme blendeten sogar die Sterne am Himmel aus. John hielt das Pferd an und sprang vom Wagen. Dann hob er Lewis’ zerbeulten Koffer von der Ladefläche. »Ich bringe dich jetzt zur Köchin. Vielleicht kannst du sie überreden, dir was zum Abendessen zu geben.«
      »Aber Miß Edwina ... sehe ich die gar nicht?«
      »Nur Geduld, Jungchen.« John legte Lewis eine Hand auf die Schulter und ging mit ihm zu einer Tür. »Sie hat Besuch aus London. Aber ich schätze, irgendwann kriegst du sie dann schon zu sehen.«
      Lewis’ Mund war vor Angst plötzlich ganz trocken. Er drehte sich um und klammerte sich an Johns Arm. »Aber Sie kommen doch mit mir, oder?«
      Einen Moment dachte er, der Mann würde ablehnen, aber dann seufzte sein neuer Freund und sagte: »Muß mich dann zwar vor meiner Mary rechtfertigen, warum ich sie so lange mit dem Essen habe warten lassen. Aber ich schätze, in der Küche abliefern kann ich dich noch. Später komme ich zurück und bringe dich auf dein Zimmer. Muß hart sein, so weit von zu Hause weg und ganz allein. Wo lebt deine Familie, Junge?«
      »Im East End«, antwortete Lewis und dachte an die chaotische Vertrautheit seines Zuhauses. »Auf der Isle of Dogs.« Er sah zu den dunklen Mauern auf, die sich drohend über ihm erhoben, und die Frage kam ihm über die Lippen, bevor er noch nachdenken konnte, ob sie passend war. »Ist so groß ... das Haus. Warum wollte Miß Edwina die anderen nicht nehmen?«
      John Pebbles schüttelte den Kopf. »Weil sie eine eigensinnige Frau ist. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, daß es keinen Krieg gibt. Will immer nur positiv denken, unsere Miß Edwina. Aber ich zweifle nicht, daß sie zur rechten Zeit zur Vernunft kommt.« Er seufzte in der Dunkelheit. »Und kommen wird er ... früher oder später, fürchte ich.« Damit öffnete er die Tür und drängte Lewis sanft in die Wärme der hell erleuchteten Küche.
     
    Typisch für ihren Exmann, ein Oberhemd mit Buttondown-Kragen zu tragen, wenn alle anderen soviel Haut zeigten, wie es die Schicklichkeit erlaubte, dachte Jo, als sie Martin Lowell beobachtete, wie er die Straße überquerte und den Park betrat. Sie hatte ihn angerufen und ihn gebeten, sich mit ihr vor dem Teegarten zu treffen.
      Als Harry noch klein gewesen war, waren sie an jedem schönen Sonntag nachmittag hierhergekommen. Sie hatten Tee getrunken und die Sonntagszeitungen gelesen, während Harry in seinem Buggy gesessen hatte. Später, als er älter gewesen war, waren sie mit ihm an der Hand den Weg hinauf zum Observatorium gegangen. Wieder etwas später hatten sie mit ihm sogar das Maritime Museum besucht.
      Jo hatte instinktiv diesen Ort für die Begegnung gewählt. Aber ganz offensichtlich vermochte dieser bei Martin keine angenehmen Erinnerungen zu wecken. Als er sie erreicht hatte, schob er seine Hornbrille hoch und musterte sie verärgert.
      »Keine Ahnung, was du wieder im Schilde führst, Jo, aber mit mir brauchst du nicht zu rechnen. Das ist mein Nachmittag mit den Kindern, und ich möchte jetzt keine blöden Ausreden hören ...«
      All die höflichen, vernünftigen Worte, die sie sich während des Weges bergab zurechtgelegt hatte, gingen in der Wut auf, die in ihr hochstieg, und sie begann zu zittern. »Halt nur einmal die Klappe, Martin, ja?«
      Er starrte sie an. Im ersten Moment schien es ihm die Sprache verschlagen zu haben.

Weitere Kostenlose Bücher