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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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moralisches Vakuum.« Vic merkte, daß sie sich so weit vorgebeugt hatte, daß sie Gefahr lief, vom Sessel zu fallen. Sie stellte das Sherryglas vorsichtig auf den Beistelltisch, lehnte sich zurück und sagte: »Entschuldigen Sie. Leider ist das mein Steckenpferd, und da vergesse ich mich leicht.«
      »Das ist in Ordnung.« Adam schenkte unaufgefordert Sherry nach. »Im ersten Moment bin ich mir wieder wie im College vorgekommen. Wir hatten die herrlichsten Diskussionen. Manchmal sind wir ganze Nächte im Park und am Fluß entlanggewandert und haben leidenschaftlich disputiert. Wir hielten uns für Revolutionäre, wollten die Welt verändern.« Er sagte das ohne Zynismus oder Bitterkeit, und für einen Moment sah Vic ihn, wie er damals gewesen sein mußte: ein Naiver in der intellektuellen Verkleidung eines Studenten im ersten Semester. Hatte Lydia sich deshalb zu ihm hingezogen gefühlt?
      »Sie stammen auch aus einem Dorf, stimmt’s? Genau wie Lydia.«
      Adam lächelte. »Nur daß meines in Hampshire lag und keine literarische Prominenz besaß. Ich erinnere mich, daß Lydia mir am Abend, als wir uns kennenlernten, erzählt hat, sie käme aus einem Ort in der Nähe von Virginia und Leonard Woolfs Haus. Sie war restlos fasziniert von Virginia Woolf.«
      »Glauben Sie, das war der Anfang ihres Interesses für Rupert Brooke?«
      »Könnte quasi die Initialzündung gewesen sein. Sie hatte alles über Bloomsbury gelesen, dessen sie habhaft werden konnte. Und sicher wurde Brooke irgendwo erwähnt - auch wenn er nie offiziell dazugehörte.«
      Eine Windböe zerrte an den Läden vor den Fenstern, und Vic wärmte sich mit einem Schluck Sherry. »Die Bloomsbury-Gruppe ... Warum glauben Sie, hat sich Lydia so von der Idee einer Gruppe aus intellektuell Gleichgesinnten angezogen gefühlt?«
      Adam schlug die langen Beine übereinander. »Ihr familiärer Hintergrund liefert die offensichtliche Erklärung. Ein vaterloses Einzelkind, das in einem kleinen Dorf aufwächst ... Falls sie dort je Freunde gehabt hat, hat sie sie nie erwähnt. Ich schätze daher, daß sie sich nach solcher Gesellschaft gesehnt hatte, seit sie lesen konnte.«
      »Und ihre Mutter? War Lydia wirklich eine so pflichtbewußte Tochter, wie es in ihren Briefen anklingt?«
      »Sie hatten eine ungewöhnliche Beziehung. Sie waren eher wie Schwestern oder Freundinnen. Und falls Lydia unter dem Druck stand, die Träume ihrer Mutter auszuleben, so hat sie sie deshalb nie weniger geliebt.«
      »Die Mutter war Lehrerin, oder?« spann Vic den Faden weiter, obwohl sie über das Leben von Mary Brooke genau Bescheid wußte.
      »Sie muß ein sehr intelligentes Mädchen gewesen sein, denn sie hatte schon vor dem Krieg einen Studienplatz in Oxford bekommen«, antwortete Adam. »Aber sie hat ihn nicht in Anspruch genommen, sondern ist zu Hause geblieben und hat ihren Jugendfreund geheiratet. Sie hatte nämlich Angst, daß er aus Frankreich nicht zurückkehren würde ...«
      »Was ja dann tatsächlich passierte«, vollendete Vic für ihn und seufzte. »Ich frage mich, ob sie ihre Entscheidung je bereut hat.«
      »Dann hätte sie Lydia nicht gehabt«, sagte Adam logisch, als wäre diese Alternative undenkbar. »Was möchten Sie noch wissen?« Er warf einen verstohlenen Blick auf seine Uhr. Vic vermutete, daß er eine Verabredung hatte, ihr das jedoch aus Taktgefühl verschwieg.
      »Das Unmögliche.« Sie lächelte angesichts von Adams verblüffter Miene. »Ich möchte gern wissen, wie sie gewesen ist. Ich möchte sie mit Ihren Augen sehen, sie durch Ihre Ohren hören.«
      Adam sah an ihr vorbei ins Leere. »Das war das erste, was einem an ihr auffiel«, sagte er schließlich. »Ihre Stimme. Sie war klein und behende, leichtfüßig wie eine Tänzerin und hatte herrliches dunkles, welliges Haar, das sie aufgesteckt trug - aber wenn sie redete, vergaß man alles andere.« Er lächelte bei der Erinnerung an ein Bild, das Vic nicht sehen konnte. »Sie klang, als habe sie in jeder verräucherten Bar von Casablanca bis Soho gesungen, aber auch noch aus dem rauchigsten Timbre war das Dorf in Sussex herauszuhören, aus dem sie stammte.«
      »Also noch immer reizend englisch?«
      Adam lachte. »Genau. Aber das interessiert Sie doch nicht, oder? Wie sie aussah, meine ich.« Er schenkte sich Sherry nach. »Wie soll ich Lydia nur beschreiben?«
      »Nennen Sie einfach ein Adjektiv«, schlug Vic vor. »Ganz spontan, ohne

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