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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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einen Blick auf das noch immer unbewegliche Gesicht ihres Sohnes und merkte, daß sie noch längst nicht bis zum Kern seines Kummers vorgedrungen war. Was traf ihn so sehr, daß er es nicht aussprechen konnte?
      Langsam fragte sie: »Hat Miß Pope dich so wütend gemacht, weil du findest, daß ich dich auch vernachlässige?«
      Kit wandte mit einem Ruck den Kopf ab und nickte. Er hatte die Lippen so fest aufeinandergepreßt, daß sie weiß wurden. Wohl um zu verhindern, daß sie zitterten, wie Vic vermutete. Verdammte Miß Pope, dachte sie. Verdammter Ian! Sollte sie alle der Teufel holen! Aber sie wußte, daß sie die Schuld nur abwälzte, daß Kits Seelenheil allein in ihrer Verantwortung lag und sie versagt hatte.
      Es war eine Dummheit gewesen, sich mit Nathan einzulassen. Noch im Bewußtsein von Kits Verwundbarkeit gab sie ihren Bedürfnissen den Vorrang, und sie war auch jetzt nicht sicher, daß sie es ertragen konnte, Nathan aufzugeben.
      Und Lydia? War die fanatisch betriebene Beschäftigung mit Lydia Brooke es wert, Kit noch mehr Schaden zuzufügen, als Ian das bereits getan hatte? Vielleicht hatte Duncan recht gehabt, und sie sollte von dem Thema lassen. Aber sie wußte noch im selben Augenblick, daß das unmöglich war. Nur vorsichtiger sein und dafür sorgen wollte sie, daß diese Arbeit nicht den ersten Platz in ihrem Leben einnahm.
      »Es tut mir leid, Kit«, murmelte sie und drückte ihn an sich. »Ich werde mich bessern, in Ordnung?«
      Er nickte und sah flüchtig zu ihr auf. Seine Züge entspannten sich. Er lächelte sogar ein wenig.
      Vic zog ihn enger an sich. »Was meinst du? Sollen wir uns ein Feuer im Kamin machen, heiße Schokolade kochen und Monopoly spielen?«
     
     

* 8
     
    Mein Lieb, allein wir wissen, daß wir seufzen, küssen, lächeln;
    jeder Kuß währt nur den Kuß; und Trauer geht vorüber;
    Liebe hat nur ein Heim im Herzen.
    Armselig die Strohhalme, die wir auf dunkler Flut kurz fassen,
    uns daran klammern, bis wir auseinandertreiben in die Nacht.
    Lachen stirbt mit den Lippen, >Liebe< mit dem Geliebten.
     
    Rupert Brooke aus >Unbeständigkeit<
     
    Die Uhr in der Diele schlug sechs, als Margery Lester den Perlenohrring anlegte. Ihr Kleid war neu, und sie fand es sehr chic, silbergrau mit einem Stich ins Grünliche, hoher Kragen und eine Reihe winziger Kugelknöpfe am Rücken. Sie hatte Grace bitten müssen, die Knöpfe zu schließen - einer der Nachteile, wenn man den Ehemann überlebte; gelegentlich war die Spezies doch recht nützlich.
      Ja, das Kleid ist in Ordnung, überlegte sie beim letzten prüfenden Blick in ihren Schlafzimmerspiegel. Sie mied Pink, Blau und Lavendel, die sie als Altweiberfarben bezeichnete, wie die Pest - wenn sie auch kaum leugnen konnte, selbst die Schwelle zu dieser Altersgruppe längst überschritten zu haben. Es gab tatsächlich Augenblicke, da sie im Vorübergehen flüchtig ihr Spiegelbild sah und dachte: Wer ist diese alte Frau? Doch unmöglich die kleine Margery!
      Margery war fit und braungebrannt vom Tennis in der Sommersonne; Margery fuhr ihr Cabrio etwas zu rasant; Margery lachte und nahm sich Liebhaber ... Die Trennlinie zwischen dem realen Leben und ihren Romanfiguren hatte sich allerdings im Lauf der Jahre verwischt, und sie fragte sich jetzt, ob sie je dieses Mädchen gewesen war oder ob sie es erfunden hatte wie die Protagonisten ihrer Bücher.
      Sie hörte Graces schwere Schritte im Korridor. Einen Moment später tauchte ihr Gesicht im Spiegel auf.
      »Madam, die Gäste dürften jede Minute eintreffen. Sie sollten unten sein, um sie zu begrüßen«, drängte Grace, trat zu ihr und schnippte imaginäre Fusseln von Margerys Schultern. Ihre strenge Miene ließ ihr Gesicht noch zerknitterter aussehen.
      »Ich komme. Ich komme ja schon«, seufzte Margery. »Du bist immer so streng mit mir, Grace«, fügte sie hinzu und tätschelte die Hand auf ihrer Schulter liebevoll. »Ich verspreche, daß ich unten bin, bevor es klingelt.« Sie hatte es längst aufgegeben, Grace abzugewöhnen, Madam zu ihr zu sagen. Auch Grace wurde alt und schien mit jedem Jahr entschlossener, zur Persiflage auf ein altes englisches Familienfaktotum zu mutieren. Grace fing ihren Blick im Spiegel auf. »Diese Einladungen überfordern Sie völlig. Morgen sind Sie zu nichts zu gebrauchen. Haben Sie Ihre Tabletten genommen?«
      »Laß mich in Ruhe, Grace. Ich bin kein kleines Kind«, wehrte Margery ab und sprühte Parfüm auf

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