Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
»Mrs. Yalom macht Tee für uns. Sie fragte, ob wir welchen möchten, und ich wollte ihre Gastfreundschaft nicht zurückweisen. Es schien ihr wichtig zu sein.«
»Vollkommen richtig.« Er sah sich im Wohnzimmer um. »Wenn es ihr hilft zu entspannen …«
Es war eine kleine Wohnung, das Wohnzimmer mit zehn mal dreizehn Schritten abgegangen, aber es wirkte größer durch eine doppelte Glastür, die auf eine großzügige, umlaufende Veranda hinausführte. Unter der Überdachung standen verschiedene Gartenmöbel – ein Eßtisch mit Stühlen, ein Sofa für draußen mit Beistelltisch, in einer Ecke ein Schaukelstuhl. Zwei Zitronenbäumchen in Kübeln zeigten die ersten Blüten, von denen ein frischer, zitroniger Duft ausging. Die Verandatüren standen offen und ließen frische Luft herein, sonst würde es in einem Zimmer von dieser Größe auch in Null Komma nichts stickig werden.
Decker sah nach unten. Der Boden war mit Fliesen wie aus zerbrochenem Gestein belegt. So etwas hatte er in Amerika noch nie gesehen. Rina setzte sich auf eine der vielen Klappstühle, mit denen der Raum vollgestellt war. Decker hatte zwanzig gezählt. Er ließ sich neben seiner Frau nieder.
»Haben sie hier eine Versammlung abgehalten oder so was?«
»Die Stühle sind für die Minjan morgens und abends«, erklärte Rina. »Der Vater darf das Haus nicht verlassen. Also kommen die Männer zu ihm und sprechen hier die Gebete. Damit er den Kaddisch sprechen kann … für seinen Sohn.« Sie sah mit feuchten Augen in den Schoß. »Es ist alles nicht so, wie es eigentlich ablaufen sollte.«
»Nein, das ist es nicht.«
Mr. Yalom kam ganz langsam wieder ins Wohnzimmer zurückgetappt und ließ sich auf ein Kissen auf dem Fußboden nieder. Der alte Mann hatte ihnen nicht viel Beachtung geschenkt. Decker hatte das Gefühl, daß man ihnen, wenn es nach dem Vater gegangen wäre, gar nicht erst ein Gespräch gewährt hätte.
Tziril kam mit vier Teegläsern in silbernen Haltern auf einem Tablett zurück. Sie widmete sich dem Einschenken und stellte ein Glas für ihren Mann auf den Boden. Sie nippten ein paar Minuten stumm vor sich hin, und dann hatte Decker das Gefühl, daß die Atmosphäre jetzt so positiv war, wie sie überhaupt nur werden konnte. Er nahm seinen Notizblock heraus. Tzirils Augen richteten sich darauf, dann auf Deckers Gesicht.
Sie sagte in heftig eingefärbtem Englisch: »Was wollen Sie wissen?«
»Sie sprechen englisch«, sagte Decker erleichtert.
Tziril nickte. »Im Gymnasium lernen wir fast genauso früh Englisch wie Deutsch. Als wir kamen nach Israel … damals war es noch Palästina … ich sage zu meinem Onkel, die Briten haben die Herrschaft, warum sie können nicht englisch sprechen hier? Aber ich habe Hebräisch gelernt.«
»Sie sprechen sehr gut englisch«, lobte Decker.
»Sehr freundlich«, antwortete Tziril. »In Europa muß man fremde Sprachen lernen, weil die anderen Länder so nahe sind.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ihre Frau hat mit mir hebräisch gesprecht … gesprochen, also habe ich hebräisch geantwortet. Aber ich weiß noch ein wenig von meinem Englisch.«
»Sagen Sie mir, wenn Sie meine Fragen nicht richtig verstehen.«
Tziril nickte.
»Und sagen Sie Ihrem Mann, daß er sich auch beteiligen kann.«
Moshe sah auf und sagte etwas auf hebräisch. Decker warf Rina einen Blick zu und wartete.
»Er sagt, er hat nichts zu sagen, aber du hast eine Menge zu erklären.«
Der alte Mann sprach weiter. Tziril wollte ihn zum Schweigen bringen, aber Rina übersetzte trotzdem.
»Er will wissen, warum die Leiche immer noch drüben ist.«
»Achten Sie nicht auf ihn«, sagte Tziril.
»Nein!« sagte der alte Mann. » Achten Sie auf mich!«
Decker sagte: »Sag ihm, daß es mir leid tut. Wir machen, so schnell wir können, aber die Bürokratie in Amerika ist furchtbar.«
Rina übersetzte. Der alte Mann antwortete.
»Er sagt, so schlimm wie die in Israel könnte sie gar nicht sein, und selbst Israel hätte genug Anstand, um eine Leiche zur Beerdigung freizugeben.«
Decker sagte: »Sag ihm, ich hoffe, daß es bald soweit sein wird.«
Moshe Yalom schnaubte und murmelte etwas in seinen Bart. Rina konnte die Worte nicht verstehen. Es war auch egal. Decker verstand am Ton, was er meinte.
Er sagte: »Mrs. Yalom, ich wünschte, ich könnte Hebräisch. Dann könnte ich Ihnen in Ihrer eigenen Sprache sagen, wie leid es mir tut.«
Tziril sah ihm in die Augen. Sie sagte nichts, sie weinte nicht. Dann sagte
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