Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
– für mich genauso wie für meinen Bruder. Wenn Dalia etwas davon tragen will … in Ordnung. Und eines Tages wird meine Tochter sie bei ihrer Hochzeit tragen, ken jirbu.«
Wenn Orit lächelte, zog sich ein feines Netz um ihre Augenwinkel.
»Mein Vater ist ein sehr cleverer Mann. Er hat es geschafft, ein paar sehr schöne Stücke aus Europa herauszuschmuggeln. Sie sind seit über hundert Jahren in der Familie. Was Papa nicht benutzt hat, um die Grenzbeamten zu bestechen, hat er Stein für Stein runtergeschluckt. Auf dem Schiff hatte er dann ganz fürchterlichen Durchfall.«
Sie lachte, aber es klang auch ein wenig traurig.
»Beinahe hätten sie ihn nicht nach Israel hineingelassen – damals war es noch unter britischem Mandat. Die Engländer waren genauso schlimm wie die Deutschen. Hier ein Stein, dort ein Stein, und plötzlich machten die Beamten aus Mendel Stein Moshe Yalom. Sie gaben ihm eine neue Identität, einen neuen Paß, alles neu. Deshalb hat mein Vater Arik und mir das Diamantenschleifen beigebracht – das ist ein Beruf, den man überall ausüben kann.«
Decker schaltete sich ein. »Lassen Sie mich das noch mal fragen, Orit. Sie rufen Ihren Bruder an und bitten ihn, das Stück mitzubringen, das Sie tragen wollen, stimmt das so?«
»Nachon«, antwortete sie. »Stimmt.«
»Sie gehen also abends aus und tragen den Schmuck. Dann gehen Sie nach Hause, richtig?«
»Ja.«
»Wo lassen Sie ihn, bis Sie ihn am nächsten Morgen wieder Ihrem Bruder zurückgeben?«
Orit antwortete nicht.
Decker sagte: »Irgend jemandem werden Sie vertrauen müssen, Orit, wenn Sie der Sache auf den Grund kommen wollen.«
»Sie glauben, da stimmt etwas nicht, nicht wahr?«
»Wir machen uns ein wenig Sorgen«, gab Marge zu.
Orit zuckte die Achseln. »Auf meiner Kommode. Wenn ich ihn verstecken will, tue ich ihn nicht in den Safe.«
»Sie haben also einen Safe«, stellte Marge fest.
»Ja, aber nur für die Einbrecher.«
Decker und Marge sahen sich verdutzt an.
»Die wissen, daß wir im Diamantengeschäft sind, da muß man ihnen halt irgendwas geben, wenn sie einbrechen. Wenn nicht, werden sie wütend. Aber die guten Stücke bewahrt man da nicht auf … nur Schrott.«
Wieder tauschten Marge und Decker einen Blick.
»Das habe ich von meinem Vater gelernt«, erklärte Orit.
»Was haben Sie noch von Ihrem Vater gelernt?«
Orit zögerte, dann sprudelte es aus ihr hervor: »Bevor mein Vater im Diamantenzentrum in Tel Aviv einen Tresor bekam, mußte er massenweise lose Steine zu Hause aufbewahren. Er versteckte sie immer in der Toilette.«
Marge sagte: »Da haben wir nachgesehen.«
»Haben Sie?« Orit war schockiert.
»Drogenhändler verstecken ihre Ware im Wasserkasten«, erläuterte Decker. »Wir haben auch den Kühlschrank überprüft – auch ein beliebtes Versteck. Nichts. Sonst noch Vorschläge?«
Orit stierte sie an, dann schüttelte sie verneinend den Kopf.
Marge sah sich um. »Wenn ich ein Diamant wäre, wo wäre ich dann wohl?«
Decker wippte mit dem Fuß. Wieder fiel sein Blick auf die Mezuza. Jetzt merkte Decker, daß er nur so lange gebraucht hatte, um zu merken, was da nicht stimmte, weil er ein Neuling in der Religion war. Mezuzas an einer Eingangstür hatten draußen am Türpfosten zu sitzen. Diese hier war aber auf der Innenseite. Vielleicht wollten sie nicht, daß sie schmutzig wurde, weil sie so kostbar war.
Aber andererseits.
Decker zog einen Latexhandschuh an. »Detective Dunn, würden Sie mir wohl einen Schraubenzieher aus dem Kofferraum holen?«
»Schon unterwegs, Sergeant.«
»Was wollen Sie tun?« fragte Orit.
»Bleiben Sie in der Nähe«, erwiderte Decker. »Ich möchte ein Familienmitglied als Zeuge dabei haben, falls ich hier fündig werde.«
»Was meinen Sie damit – fündig werden?«
»Bargeld, Wertsachen … vielleicht Diamanten.« Decker zeigte auf die Mezuza. »Da.«
»Was?« sagte Orit. »Sie sind verrückt. Das ist ein religiöser Gegenstand.«
»Ich weiß, was eine Mezuza ist, Mrs. Bar Lulu. Und ich weiß auch, wo sie angebracht werden sollen. Beytechta oovesha’arecha – an euren Häusern und Türen – und zwar von draußen.«
Orit starrte ihn an. »Sie sprechen hebräisch?«
»Nein, aber ich kenne die Schma.«
»Ich wußte doch, daß Sie mir gefallen.«
Marge kehrte zurück und gab Decker den Schraubenzieher. Vorsichtig drehte er die Schrauben auf, die den Behälter für die Schriftrolle an der Wand hielten. Sie lösten sich leichter, als er erwartet hatte.
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