Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
hin. »Was meinst du?«
»Irgendwas da sieht … nicht richtig aus.«
Marge sah sich die Stücke genauer an, dann trat sie einen Schritt zurück und musterte den Schrank. »Die Fächer sind offen. Sind die meisten Vitrinenschränke nicht geschlossen?«
»Jetzt, wo du es sagst, wirkt auch das ein bißchen seltsam. Aber das ist es nicht, was mich stört.«
Marge trat wieder vor und sah sich die Exponate eins nach dem anderen an. Das obere Glasregal beherbergte zwei kämpfende Hunde, im zweiten stand eine schlichte grüne Schale, im dritten ein Papageienpärchen aus Metall, und das unterste trug zwei aquamarinblaue Vasen mit einem leicht erhabenen Drachenmuster.
»Sieht nichts kaputt aus.«
»Nein.«
»Komische Hunde«, kommentierte Marge. »Wie diese ganzen Farben ineinanderlaufen. Und diese aggressive Haltung. Diese gekrümmten Rücken, und die Zähne fletschen sie auch. Die können einem angst und bange machen.«
Decker nickte. Es waren die Hundestatuen. Irgendwas daran nagte an ihm. Er konzentrierte sich auf die Zähne. Jede der Statuen hatte vier deutliche Hundezähne – zwei oben, zwei unten und sämtlich makellos spitz. Keine Macke und kein Riß zu sehen.
Marge strich sich das Haar aus den Augen. »Weißt du, Pete, wenn ich diese Hunde aufstellen würde, dann so, daß sie sich ansehen, statt sie hintereinander aufzureihen wie bei einer Elefantenparade –«
»Das ist es«, unterbrach Decker.
»Das hat dich gestört?«
»Exakt«, freute sich Decker.
»Du bist doch ein größerer Ästhet, als ich dir zugetraut hätte.«
Decker feixte. »Weißt du auch, warum es so falsch aussieht?«
Marge sah wieder zu den Stücken hin.
»Es sind die Papageien, Marge«, erklärte Decker. »Die Papageien schauen sich an. Aber die Hunde nicht.«
Marge sagte: »Und was hat das mit dem Eierpreis in der äußeren Mongolei zu tun?«
Decker zuckte die Achseln. »Vielleicht nichts. Aber ich werde unser Schwesterchen trotzdem danach fragen.«
»Ob sie weiß, warum die Hunde sich nicht ansehen?«
»Vielleicht hat sie Mom beim Einräumen der Vitrine geholfen«, sagte Decker. »Vielleicht weiß sie ja, was die Eier in Asien kosten.«
4
Als Rina sich den Telefonhörer unters Kinn klemmte, wurde sie umgehend von Hannahs Gebrabbel abgelenkt. Sie saß neben ihrem Baby und spielte mit ihm auf einer Krabbeldecke, die auf dem Wohnzimmerfußboden ausgebreitet war. Es war eine von diesen Babybeschäftigungsdecken mit eingenähtem Spielzeug – einem Spiegel, einem Beißring, mehrere Quietschelemente und eine Menge Applikationen und Zupfbildchen. Aber Hannah hatte jetzt genug davon, dem Hasenbäuchlein Quietscher zu entlocken. Sie fing an zu quengeln.
Natürlich klingelte genau jetzt das Telefon. Rina machte den großen Fehler, dran zu gehen. Hannahs Gezeter wurde jedes Mal lauter und heftiger, sobald Rina etwas in den Apparat sagte, bis das Selbstgespräch des Babys schließlich in einem ohrenbetäubenden und feuchten Protestgeheul gipfelte.
»Moment mal, Honey.« Rina versuchte, Hannah den Mund abzuwischen. Das Baby sträubte sich kopfschüttelnd und mit einem lauten abbababbaba.
Honey sagte: »Soll ich dich später noch mal anrufen, Rina?«
»Nein, alles in Ordnung. Sie sagt nur ihre Meinung.«
»Sie hört sich süß an«, seufzte Honey. »Ich liebe Babies. Ich liebe Kinder. Ach, ich hätte noch ein Dutzend mehr bekommen sollen.«
Honey klang völlig niedergeschmettert vor Kummer. Und zwar so sehr, daß Rina sich fragte, warum sie denn eigentlich nicht noch ein Dutzend mehr Kinder hatte. In ihrem Kulturkreis war es überhaupt nichts Ungewöhnliches, wenn Familien eine zweistellige Kinderschar hatten. Es gab Rina zu denken. Möglicherweise hatte irgend etwas verhindert, daß Honey noch mehr Kinder bekam. Eventuell hatten sie doch viel mehr gemeinsam, als Rina zunächst angenommen hatte.
»Genieß es einfach«, fuhr Honey fort. »Ich brauche dir das ja nicht zu sagen, aber sie werden so schnell groß. Eben sind sie noch kleine Kuschelhäschen, und im nächsten Augenblick sind sie große Jungen, die dir vielleicht noch mal ein Küßchen geben, wenn du Geburtstag hast.« Sie kicherte. »Wenigstens bekomme ich ein Küßchen. Aber ich kenne eine ganze Menge Frauen, deren Söhne sich weigern, sie zu berühren.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte Rina. »Negia – wenn sich Mann und Frau berühren – bezieht sich schließlich nicht auf Mütter und ihre Söhne.«
»Natürlich ist es lächerlich«, pflichtete Honey bei. »Der
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