Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
dachte, ich rufe besser später wieder an. Viel zu tun?«
»Ununterbrochen, seit wir gestern angekommen sind.« Decker nahm Block und Bleistift heraus. »Ich nehme an, du hast mir etwas mitzuteilen?«
»Zunächst mal das Neueste über den Fall Honey Klein. Ich habe einen Anruf von Sturgis in West-L. A. bekommen. Ich habe ihm gesagt, du wärst in Israel, und er meinte, du solltest dich vielleicht als Hellseher verdingen.«
»Honey ist hier?«
»Da ist sich niemand so ganz sicher, aber die Polizei in Manhattan glaubt es. Gleich nach dem Mord an Klein haben sie ein Sondereinsatzteam ins Village geschickt – ein paar jüdische Cops aus den eigenen Reihen, die jiddisch sprechen, darunter eine Frau.
Die Männer waren natürlich stumm. Bei den Frauen war die Sache anders. Besonders gesprächig waren sie zwar auch nicht, aber es kamen doch ein paar Dinge über Honey dabei heraus. Sie hatte schon seit langem davon geredet, daß sie nach Israel wollte, um dort zu leben. Und dann, kurz vor Honeys kleiner Urlaubsreise, sah eine der Nachbarinnen einen dicken Umschlag vor Honeys Wohnungstür; Absender war eine Bundesbehörde. Sie hatte Honey danach gefragt, und Honey hatte geantwortet, sie hätte ihre Pässe erneuern lassen.«
»Interessant«, sagte Decker. »Gibt es irgendwelche Hinweise, daß sie etwas mit dem Mord an ihrem Mann zu tun hatte?«
»Keinerlei Hinweise. Aber die Polizei hat ein Motiv.«
»Laß mich raten. Ihr Mann hat sie und die Kinder mißhandelt. Sie wollte weg, aber er ließ sie nicht. Also nahm sie die Kinder und floh.«
»Du bist auf der richtigen Spur, aber nicht ganz.« Marge legte eine Pause ein. »Du bist ja selber Jude und so, Rabbi. Vielleicht kannst du mir das erklären. Ja, Honey wollte weg von ihrem Mann. Sie hatte ihn seit mehr als einem Jahr um die Scheidung gebeten, aber Gershon Klein wollte verheiratet bleiben. Und jetzt kommt der Teil, der mich verwirrt. Anscheinend kann bei gläubigen Juden die Frau keine Scheidung bekommen, wenn der Mann es nicht will. Stimmt das?«
»Ganz genau, ja.«
»Wie ist das möglich, Pete? Wir haben Gesetze in diesem Land. Unparteiische Gesetze.«
Decker schwieg. Wie sollte er das Marge erklären, wenn er es selber nicht verstand? »Zivilrechtlich kann sie sich scheiden lassen, Marge, aber nicht kirchlich, und ohne kirchliche Scheidung kann eine jüdische Frau nicht wieder heiraten.«
Lange herrschte verblüffte Stille in der Leitung. Dann sagte Marge: »Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber mir kommt das ungerecht vor.«
»Mir auch«, gab Decker zu. »Ich finde, es stinkt zum Himmel. Hat New York herausgefunden, wie Gershon Klein gestorben ist?«
»Er ist ertrunken«, sagte Marge. »Genauer gesagt, er wurde ertränkt.«
»Was für Wasser war in den Lungen?«
»Aus der Leitung, kein Seewasser. Sie glauben, er ist in einer Badewanne ertrunken. Und sie glauben, daß es Honey war.«
»Es wäre gar nicht so leicht für Honey gewesen, ihn in eine Badewanne zu kriegen«, sagte Decker. »Gershon hatte schon eine ganze Weile aufgehört, überhaupt zu baden.«
»Aufgehört zu baden? Warum? Das kann jetzt aber nichts mit der Religion zu tun haben.«
»Hat es auch nicht«, antwortete Decker.
»Hört sich ganz danach an, als wäre der Typ kurz vor einem Zusammenbruch gewesen. Weiter.«
Marge berichtete: »Was jetzt kommt, ist reine Spekulation, aber ich werf's dir trotzdem mal so hin. New York scheint zu glauben, daß Honey vorhatte, das Ganze als Unfall zu melden. Aber dann ist sie plötzlich in Panik geraten.«
»Könnte ich mir vorstellen«, stimmte Decker zu. »Deinen Mann in einem Anfall von rasender Wut zu ertränken ist eine Sache, aber zu erklären, warum es da plötzlich eine Leiche gibt, das ist was ganz anderes.«
Marge schnaubte. »New York glaubt, daß sie die Leiche aus dem Haus geschleift hat –«
»Es muß also nachts gewesen sein.«
»Sollte man annehmen. Jedenfalls hat sie die Leiche ins Büro ihres Mannes geschleift und ist auf und davon.«
»Es wurde auf den Körper geschossen.«
»Ja, sie denken, daß Honey mit Absicht auf ihn geschossen und das Büro verwüstet hat, damit es nach einem Raubüberfall aussah, und später hat sie allen erzählt, Gershon wäre in Israel.«
»Dann hat Honey Rina angerufen«, setzte Decker die Geschichte fort. »Sie hat es so eingefädelt, daß sie nicht in der Stadt war, als die Leiche gefunden wurde.« Er wurde wütend. »Sie hat ganz bewußt die Frau ausgesucht, deren Mann bei der Polizei
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