Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
schließlich wieder in Reichweite hatte, erlaubte Rina sich, ein wenig zu entspannen.
Die Berghänge hatten sich verändert. Statt schroffer Felswände sah man in den Berg gehauene Terrassen, wie in Stufen angeordnete und landwirtschaftlich genutzte Ebenen. Dieses Meisterstück der Landschaftsarchitektur war vor Hunderten von Jahren vollbracht worden, und die Begrenzungen aus Granit und Kalkstein hielten noch immer voller Grazie und Schönheit die Kräfte von Mutter Natur im Zaum.
Der Fiat kam schnell voran, und Rina folgte. Sie fuhren an der Abfahrt nach Efrat vorbei, einer Stadt, die fälschlich als Siedlung bezeichnet wurde. Unter einer Siedlung stellte Rina sich eine vorübergehende Bleibe vor – lauter Leute mit Rucksäcken, die über die Felder ziehen, Zelte aufbauen und auf dem Boden schlafen. Efrat war alles andere als das. Die Stadt hockte mit ihren zahlreichen Apartmentgebäuden und ausufernden Einzelhausgegenden hoch oben auf dem Berg. Sie hatte ein eigenes Schulsystem, eigene Büchereien, eigene Geschäfte und natürlich eigene Synagogen. Rina hatte eine Menge amerikanischer Freunde, die wegen der frischen Luft, der Sicherheit und der freien Landschaft nach Efrat gezogen waren. Für ihre Sicherheit fürchtete Rina inzwischen allerdings, nachdem nun die Araber in diesem Gebiet patrouillierten.
Rina dachte darüber nach, während sie weiter in die West Bank hineinfuhr. Die Straße wurde nicht nur leerer, sondern auch entschieden arabischer. Für jeden Wagen mit israelischem Kennzeichen, dem sie begegnete, kam sie an fünf mit arabischem Nummernschild vorbei. Ihr Mietwagen war ein Angriffsziel, verletzlich wie ein aufleuchtender Punkt auf dem Radarschirm. Sie überprüfte noch einmal, ob die Türen auch verriegelt waren, warf einen Blick in den Rückspiegel und suchte die Gegend nach Anzeichen für einen Hinterhalt ab.
Alles schien ruhig. Jetzt kam ihr der nächste Militärjeep entgegen. Das gab ihr den Mut weiterzufahren.
Inzwischen fuhr der Fiat mit Höchstgeschwindigkeit. Die Bergterrassen schwebten als undeutliche Steinmassen vorüber. Als der Wagen nach Hebron einbog, quietschten die Reifen. Rina fuhr hinterher, während ihr die Klimaanlage die Luft mit voller Kraft ins Gesicht blies. Aber der kühle Luftzug konnte die Hitze im Innenraum nur wenig mildern. Rina lief der Schweiß über das Gesicht und unter den Kleidern am Körper hinunter. Ihre Bluse hatte dunkle Flecke unter den Armen. In der Abfahrt drosselte Rina das Tempo, als der Fahrstreifen sich auf den Eingang zur Stadt hin verengte.
Dann begann alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Um sie herum zogen sich die Menschen immer dichter zusammen, als sie tiefer in den Ort hineintauchte, bis hin zum Marktplatz. Sie wurde mit feindlichen, haßerfüllten Blicken bedacht, es war eine vor Tausenden von Jahren entfachte und durch Blutvergießen und Racheakte immer wieder neu geschürte Wut. Rina hielt den Blick starr nach vorne gerichtet, mit den Händen umklammerte sie ihr Steuerrad. Sie wollte gern noch einmal ihre Türen überprüfen, aber damit hätte sie sich ihre Angst anmerken lassen. Und mit Angst handelt man sich garantiert Schwierigkeiten ein.
Die Stadt schien sich vor ihren Augen zu vermehren, mit jeder Sekunde wurde die Menschenmenge dichter. Nun schloß sich der Marktplatz um sie herum, Obststände quollen auf die Straße über. Eselskarren rumpelten neben ihrem Subaru her, die Gesichter von Tieren und Menschen starrten zu ihr herein. Manche Augen blickten nur neugierig, die meisten aber voller Ablehnung. Rina versuchte, sich nach außen hin ruhig zu geben, aber innen drin klopfte ihr das Herz zum Zerspringen.
Kein Militärjeep in Sicht.
Plötzlich klang ein »Ping« im Wagen wider. Man fühlte einen Hauch von Bewegung – als ob jemand auf den Kofferraum geklopft hätte. Plötzlich schoß ihr das Adrenalin in die Adern. War das nur der Schotter, der unter den Rädern wegspritzte, oder bewarf jemand den Wagen mit Steinen?
Der Fiat war langsamer geworden, um sich an den dichten Verkehr von Wagen, Karren und Kamelen anzupassen. Rinas Subaru klebte dem Fiat praktisch auf der hinteren Stoßstange. Sie befand sich direkt hinter ihnen, und das war überhaupt nicht gut. Aber wo sollte sie hin? Sie saß in der Falle in diesem Stau.
Ein lauterer Schlag auf ihren Kofferraum, diesmal schwerer, bedeutungsvoller. Sie wollte sich umdrehen, wagte es aber nicht. Ein Seitenblick zeigte ihr, daß sie von einem weiteren Eselskarren eingezwängt war. Sie
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