Decker & Lazarus 08 - Doch jeder toetet, was er liebt

sagte Davidson.
    »Keine Sorge, Lieutenant. Es wird gut sein. Denn es wird die Wahrheit sein.«

29
    Erica sagte: »Wenn Sie so weit sind, müssen Sie den Knopf hier drücken. Dann geht die rote Lampe hier an, und das Gerät ist aufnahmebereit.«
    »Ich denke, damit werde ich fertig«, sagte Decker.
    Erica warf einen Blick auf die Decke, mit der der Einwegspiegel verhängt worden war. Decker wusste, dass sie da drüben alles versuchen würden, um etwas zu sehen oder zu hören. Sie würden später ihre Chance bekommen.
    Die junge Staatsanwältin verließ den Vernehmungsraum und machte die Tür hinter sich zu. Decker justierte den Sucher ein letztes Mal und drückte dann auf den Aufnahmeknopf. Er setzte sich Whitman gegenüber, holte eine Schachtel Zigaretten heraus, zündete eine an und gab sie ihm. Der Junge nahm einen tiefen Zug.
    »Danke.«
    Decker schenkte ihm ein Glas Wasser ein. »Sonst noch was?«
    Whitman schüttelte den Kopf.
    Decker wartete.
    Whitman stützte die Ellenbogen auf den Tisch, legte die Hände ineinander und ließ seine Stirn auf die Knöchel sinken. Rauchfetzen schwebten zur Decke und nebelten den Raum ein. »Um das Ganze zu verstehen, müssen Sie zunächst die Vorgeschichte kennen.«
    »Schieß los.«
    »Kurz bevor ich hierher gekommen bin, war ich sechs Wochen im stationären Entzug. Alkohol und Drogen.«
    »Was für Drogen nimmst du?«
    »Nahm. Vergangenheit. Einen ganzen Haufen – Gras, Koks … ein bisschen Heroin. Außerdem massenweise legale Drogen, Antidepressiva, Prozac, Xanax, Haldol. Aber das Hauptproblem war der Alkohol. Was Schnaps betrifft, habe ich eine sehr hohe Toleranz, wie alle Säufer. Ich muss wirklich viel trinken, bis ich überhaupt was merke. Mein Warnsystem springt erst an, wenn ich völlig hinüber bin.«
    Decker zuckte mit keiner Wimper. »Du kannst dir einfach nicht helfen. Es ist eine Krankheit.«
    Whitman sah auf, die Zigarette zwischen den Fingern, und auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Genau.
    Diese Kliniken haben es nicht so mit persönlicher Verantwortung. Sie sagen dir zwar die üblichen Floskeln – reißen Sie sich zusammen, nehmen Sie es selber in die Hand –, aber lieber nicht zu laut. Denn wenn die Zügellosigkeit keine Krankheit ist, bekommen sie kein Geld von der Versicherung.«
    Decker wartete.
    »Das ist alles nicht so wichtig«, sagte Whitman. »Ich will damit nur sagen, dass ich praktisch weggetreten bin, wenn ich getrunken habe. Das heißt, ich erinnere mich an nichts.«
    »Schon mal im Delirium tremens gewesen?«
    »Mehrmals. Aber das war, bevor ich ins Norfolk County eingewiesen wurde, weil ich diese Stimmen hörte. Also weiß ich nicht, was was ausgelöst hat – das Delirium die Psychose oder umgekehrt.«
    »Was haben die Stimmen gesagt?«
    »Ich erinnere mich nicht an viel, aber es war nichts Gewalttätiges. Nur immer wieder dieselben blödsinnigen Sachen. ›Bind dir die Schuhe zu, bind dir die Schuhe zu, bind dir die Schuhe zu‹ … immer und immer wieder. Aber es war echt lästig, weil ich immer darauf hörte. Haben Sie eine Ahnung, wie furchtbar es ist, sich eine Million Mal am Tag die Schuhe zuzubinden?«
    »Erinnerst du dich an deine offizielle Diagnose im Norfolk County?«
    »Etwas wie Akute Paranoia, vorübergehende Bewusstseinsstörung – jugendlicher Anfall. Als hätte ich nur ein paar Worte durcheinander gebracht. Jedenfalls verschwanden die Stimmen, nachdem ich Medikamente bekommen hatte. Irgendwann wurde das Thorazin dann wieder abgesetzt, und das war’s dann. Aber getrunken hab ich auch nach der Entlassung immer noch.«
    »Du warst zwölf, als du eingewiesen wurdest?«
    Whitman nickte.
    »Du warst schon mit zwölf Jahren ein Alkoholiker?«
    »Ich kann aufhören, bevor ich richtig betrunken bin. Aber das liegt nur daran, dass es wirklich eine Menge braucht, um mich betrunken zu machen. Wenn ich nicht aufhöre, wird alles sehr verschwommen. Ich bin schon mehrmals an irgendeinem völlig fremden Ort aufgewacht und wusste nicht, wie ich da hingekommen war.«
    Whitman zog wieder an seiner Zigarette.
    »Einer von meinen Selbstmordversuchen? Ich wachte in meinem Bett auf mit einer.22er in der Hand, und aus einem Loch in meinem Bauch tropfte Blut. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich getrunken hatte. Es könnte einfach ein Unfall gewesen sein. Aber auf Grund meiner Vergangenheit haben sie’s als Selbstmordversuch verbucht.«
    »War das der erste oder der zweite Versuch, von