Decker & Lazarus 08 - Doch jeder toetet, was er liebt
hatte er seine Geschäfte im Stillen abgewickelt, oder er war an der großen Filmmetropole nicht sonderlich interessiert.
Decker dachte nach.
Möglich, dass Whitman hergeschickt worden war, um etwas für Donatti aufzubauen. Aber wenn das zutraf, hätte Donattis Einfluss seit Whitmans Eintreffen zunehmen müssen. In Wirklichkeit hatte er aber abgenommen.
Was machte Whitman also hier?
Decker sah auf die Uhr. Erst halb elf. Er lag gut in der Zeit. Er dachte nach und malte Kringel aufs Papier.
Vielleicht war der Junge gar nicht hergeschickt worden, um irgendwas zu tun. Vielleicht war es genau umgekehrt. Vielleicht hatte Whitman im Osten irgendwas getan, und Donatti musste ihn daraufhin hierher verfrachten. Wenn man das einmal voraussetzte, musste Decker sich ansehen, was Donatti und Whitman getrieben hatten, bevor Whitman nach L. A. gekommen war.
Also erst mal in die Bibliothek.
Um elf saß Decker am Computer vor dem Astrolab Information System und rief alte Artikel aus der New York Times ab, in denen Donattis Name auftauchte. Es spuckte siebenundzwanzig aus, von denen die meisten sich mit Donattis Mordprozess vor etwa vier Jahren beschäftigten. Er war beschuldigt worden, einen Mordanschlag auf einen führenden Gewerkschaftsboss geplant zu haben, nachdem dieser Reformen angekündigt hatte. Nach Donattis Freispruch gab es mehrere Berichte über seinen anschließenden Rückzug ins »Privatgeschäft«. Donattis Tätigkeit war mit »örtlicher Unternehmer« angegeben.
Zu einem der Artikel gehörte ein Bild von Donattis Haus in Upstate New York, das im begleitenden Text als ein Dreißig-Zimmer-Anwesen aus Backstein im Föderationsstil auf einer vierzigtausend Quadratmeter großen Parkanlage umgeben von fünfzehn Hektar Waldgelände beschrieben wurde. Das Haus war, wie es hieß, mit Antiquitäten voll gestopft, die Gemälde alle echt, seine Sammlung galt als erstklassig.
Decker lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
An die zwanzig Hektar Grund und eine erstklassige Kunstsammlung.
Wo blieb da die verdammte Gerechtigkeit?
Versuch gar nicht erst, dahinter zu kommen. Du ärgerst dich nur schwarz.
Er machte mit Whitman weiter. Als er Astrolab nach Artikeln mit seinem Namen fragte, erschien nur ein einziger, und der ausgerechnet aus den Gesellschaftsnachrichten. Er hatte nichts mit irgendwelchen dunklen Aktivitäten im Osten zu tun. Aber Decker vermutete, dass er etwas mit dunklen Aktivitäten hier im Westen zu tun haben könnte. Er ließ sich einen Ausdruck des Artikels machen und stopfte ihn in seine Aktentasche.
18
Heute war die Schule schon um halb drei aus. Angeblich, um uns mehr Zeit zum Lernen für die Abschlussprüfung zu geben. Aber alle wussten, was der wahre Grund war. Niemand konnte sich auf etwas anderes konzentrieren als diese Nachricht. Die verschiedensten Gerüchte liefen um, und jeder hatte eine andere Meinung dazu. Was mich betraf, sagte ich wenig und ließ mir nichts anmerken. Als die Glocke zum Unterrichtsschluss bimmelte, packte ich meine Bücher zusammen und verließ den Schulhof, ohne auf das Geschwätz der Möchtegern-Experten zu achten.
Melissa war bei einer Freundin, deswegen ging ich direkt nach Hause. Dort war es unheimlich still. Vielleicht lag das an dem Kontrast zu dem aufgeregten Geschnatter in der Schule. Es summte in meinen Ohren, mir dröhnte der Kopf. Ich zog ein paar Bücher aus meinem Ranzen und ging in mein Zimmer.
Chris lag auf meinem Bett.
Ich fuhr unwillkürlich zurück und machte mehrere Riesenschritte rückwärts, bis ich an die Ecke vom Schreibtisch stieß und die Bücher fallen ließ, an die ich mich gekrallt hatte. Sie fielen polternd auf den Holzboden. Eins landete auf meinem Zeh. Ich fühlte den Schmerz, aber ich reagierte nicht, denn ich konnte mich nicht bewegen.
»Ihr habt einen Riegel an der Hintertür«, sagte er. »Hat mich ziemliche Arbeit gekostet. Ich hab ihn nur geknackt, nicht kaputt gemacht.«
Ich schwieg.
Langsam stand er auf, für mich sah er riesig aus. Er sah sich um, bisher war er ja noch nie in meinem Zimmer gewesen. Es war winzig – eine Regalwand mit eingebautem Schreibtisch, ein Bett, ein Nachttisch, für mehr war kein Platz. Ich hatte versucht, das Ganze mit selbst genähten Spitzengardinen und einer Menge Duftmischungen ein bisschen aufzupeppen. letzt wurde mir schlecht von dem süßen Geruch.
Er sah auf meine Bücher und sagte mit ruhiger, leiser Stimme: »Wo ist Melissa?«
Ich dachte daran, zu lügen, aber wozu hätte das gut sein
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