Decker & Lazarus 10 - Der Schlange List
Nerven runter und einsam und habe keine Lust, mich rar zu machen. Deine Familie ist das einzige, was mir ein Gefühl von Normalität gibt. Es ist wirklich bescheuert.«
»Margie, meine Familie ist auch für mich das einzige, was mir ein Gefühl von Normalität gibt.«
»Dann sind wir eben beide bescheuert.«
»Ich nenne es hingebungsvoll.« Decker grinste. »Aber ich habe schon immer zu Euphemismen geneigt.«
Er hielt in der Einfahrt und schaltete den Motor aus. Er blieb sitzen und genoß das Dunkel und die Stille. Für ein paar kostbare Sekunden war er ganz allein und ohne Verpflichtungen, ein wunderbares Gefühl. Er atmete tief durch, entspannte sich und ließ seinen Augen Zeit, sich an die Schatten und ans Sternenlicht zu gewöhnen. Er wäre noch ein Weilchen so sitzen geblieben, hätte er nicht den roten Camaro entdeckt, der am Straßenrand parkte.
Cindys Wagen.
Sein Herz fing an zu pochen. Seine Tochter sollte eigentlich an der Uni sein, viertausend Kilometer von hier entfernt. Was hatte das zu bedeuten? Als er sich diese Frage gestellt hatte, wußte er nicht, ob er die Antwort hören wollte.
Er sprang aus dem Auto und öffnete die Haustür. Cindy stand vor ihm, als er über die Schwelle trat, winkte ihm verhalten zu und sagte »Hi, Daddy«.
Ein schönes Mädchen – auf ihre kraftvolle Art. Sie war etwa einsfünfundsiebzig, ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen war voller Sommersprossen, aber ihre Haut war glatt wie Marmor. Weit auseinanderstehende, dunkelbraune Augen, langes, flammend rotes Haar, ein offenes Lächeln. Sie war fotogen und hatte sich Vorjahren ihr Taschengeld als Model verdient. Aber das war es nicht, was sie wollte. Ihr Beruf sollte Herz und Verstand gleichermaßen beanspruchen. Cynthia war extrem großzügig und ausgesprochen intelligent.
Sie trug Jeans und ein weißes T-Shirt, dazu Armeestiefel. Sie sah bekümmert aus. Zweifellos der Grund, weshalb sie hier war und nicht in New York.
»Donnerwetter!« Decker verpaßte seiner Tochter eine herzhafte Umarmung. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs? Müßtest du nicht an der Uni sein?«
»Könnte man so sagen.«
Bevor er weiterfragen konnte, kam Rina herein und sagte lächelnd: »Sie stand plötzlich vor der Tür. Ich hab sie reingelassen und hoffe, das ist dir recht.«
»Mehr als das.«
»Hast du Hunger?«
»Wie ein Bär.«
»Dann wasch dich und setz dich an den Tisch.«
»Schläft die Kleine?«
»Schon seit einer Stunde. Baruch Hashem! Sie wird immer lebhafter. Und rotzfrech. Kommt ganz nach ihrem Vater … und ihrer Schwester.«
»Meinst du die Lebhaftigkeit oder die Frechheit?«
»Beides.«
Cindy lachte.
»Vielleicht sollte ich erst mal nach den Jungs sehen«, sagte Decker.
»Die sind nicht da. Sammy und Jake sind mit ein paar Freunden Pizza essen gegangen.«
Seltsamerweise war Decker erleichtert. Kein schöner Zug von ihm, wie er schuldbewußt feststellte. Schließlich waren sie seine Söhne. Andererseits machten sie sowieso, was sie wollten. Warum sollte er sich wie ein Rabenvater vorkommen, wenn sie sich irgendwo amüsierten? Er stellte fest, daß seine Gefühle innerhalb weniger Sekunden die ganze Skala durchlaufen hatten. Was bedeutete, daß er angeknackst war. Nicht die beste Voraussetzung für ein Gespräch mit seiner Tochter, die offensichtlich einen Anschlag auf ihn vorhatte.
Als er aus dem Badezimmer kam, führte ihn Cindy an den Tisch. »Setz dich. Rina hat einen herrlichen Eintopf gekocht. Eins dieser Gerichte, die vom langen Kochen immer besser werden.«
»Bei meinen Überstunden krieg ich die fast jeden Tag«, erwiderte er trocken. »Setz dich und erzähl mir, was los ist.«
»Das kann warten.«
»So schlimm?«
»Schlimm ist es überhaupt nicht.«
Rina kam zurück und servierte ihrem Mann das Essen. »Ich hab ihnen gesagt, sie sollen um elf zurück sein. Glaubst du, ich lasse ihnen zu viel Freiheit?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
»Sammy ist nur so schrecklich aufgeregt.«
»Ist ja auch ein großes Ereignis im Leben eines Jungen.«
»Für Mädchen genauso«, sagte Cindy. »Ich weiß noch, als ich meinen Führerschein kriegte. Dieses Gefühl der Freiheit … es war wirklich umwerfend.«
»Ich wußte gar nicht, daß du vorher so unterdrückt wurdest.« Decker lächelte.
»Ich meine damit nicht, daß ich … «
»Cindy, er nimmt dich doch nur auf den Arm«, warf Rina dazwischen. »Darauf verdient er keine Antwort.« Sie gab ihrem Mann einen zarten Klaps auf die gesunde Schulter. »Ich
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