Decker & Lazarus - 18 - Missgunst
anschwellen lassen. Im Journal of News and Business schrieb man über das Greenridge-Projekt: Wird es nicht langsam Zeit, dass Guy Kaffey endlich das tut, was er schon vor Jahren hätte tun sollen? Nämlich seinem ballastschweren Bruder Mace den Hahn zuzudrehen? Kindliche Loyalität ist ein bewundernswerter Zug, aber eine Firma – selbst eine Firma in Privatbesitz – kann nicht mit Sentimentalität geleitet werden.
Falls Mace gemeinsam mit dem Greenridge-Projekt unterging, was wurde dann aus Grant? Steckte er da nicht auch mit drin? Warum sollte Mace der Sündenbock sein und nicht Grant, wenn es Probleme gab?
Die Überschrift zum letzten Absatz von Lees Zusammenfassung lautete »Der Blick eines Insiders auf Guy Kaffey« aus PropertiesInc.com , in dem es eher um Guy den Privatmann ging als um Guy den Geschäftemacher. Guys Freunde sprachen von Guys Überschwänglichkeit, seine Feinde nannten ihn einen Hitzkopf. Er war bekannt für seine Ausbrüche, und seine Stimmung konnte innerhalb eines Augenblicks umschlagen. Guy wurde als kühn und wagemutig beschrieben, war aber auch an Details interessiert und pedantisch.
Decker fragte sich, wie viele seiner Ausbrüche mit seiner möglichen bipolaren Störung zusammenhingen. Hatte er seinen Bruder in einem manischen Zustand verklagt, oder gab es einen triftigen Grund? Allerdings sah es so aus, als seien die Anklagepunkte nicht haltbar, da Guy ja zugestimmt hatte, Mace wieder im Unternehmen zu beschäftigen.
Decker legte die Zusammenfassung über Guy Kaffey zur Seite und griff nach der von Mace, die aber nichts Aufschlussreiches enthielt. Mace hatte die Highschool abgebrochen. Er arbeitete für seinen Bruder. Er zog mit seiner Frau Carol in das sonnige Kalifornien, um Guy bei Kaffey Industries zu helfen. Er hatte einen Sohn namens Sean. Alles schien in bester Ordnung zu sein, bis die Anklage wegen Veruntreuung einschlug.
Hier wurde Lee Wang dann deutlich. Mace Kaffey war beschuldigt worden, fünf Millionen Dollar gestohlen zu haben. Decker konnte nicht verhindern, dass er einen lauten Pfiff ausstieß. Es gab keine Einzelheiten, wie genau die Veruntreuung vor sich gegangen war, außer dass Guy während einer routinemäßigen Inventur Wind von den Unstimmigkeiten bekam und dann eins zum anderen führte, bis er seinen Bruder damit konfrontieren musste. Mace stritt alle Vorwürfe vehement ab und schlug sogar vor, einen Privatdetektiv zu beauftragen, damit der den wahren Schuldigen ausfindig machte. Aber Guy hatte seine eigenen Gewährsleute.
Die Schlacht der Brüder dauerte mehrere Jahre, und währenddessen stürzten die Firmenaktien in den Keller. Vorwürfe und Gegenvorwürfe schienen ausgeglichen, bis Guy sich durchsetzte. Einen Monat später kam es zum Vergleich. Guy blieb Vorstandsvorsitzender, Gil Kaffey rückte auf den Präsidentenposten vor, Grant war verantwortlich für das Ostküstengeschäft, und Mace wurde nach New York verfrachtet mit einem Vizepräsidententitel im Gepäck.
Das Ganze verwirrte Decker. Wenn Mace so unverfroren Gelder veruntreut hätte, warum sollte Guy ihn behalten? Hatte Milfred Connors seinen Diebstahl Mace angehängt? Oder, was genauso möglich war, hatte er für Maces Diebereien die Schuld auf sich genommen? Vielleicht steckten die beiden unter einer Decke. Und wo war das Geld abgeblieben? Hatte man je wenigstens einen Teil davon wiedergesehen?
Er machte sich Notizen am Rand und ging weiter zur nächsten Generation: Gil, zweiunddreißig; Grant, dreißig; Sean, achtundzwanzig. Grant war als Einziger verheiratet, seine Frau hieß Brynn, und die beiden hatten einen Sohn im Kleinkindalter. Gil war schwul, Sean noch unverheiratet. Alle drei hatten ihren Abschluss in BWL an der Wharton School der Universität von Pennsylvania gemacht. Gil und Grant wurden sofort von Kaffey Industries absorbiert, nur Sean ging eigene Wege. Er hatte die Harvard Law School abgeschlossen und dann Fall- und Wirtschaftsrecht an einer kleinen Universität im Nordosten studiert.
Ganz eindeutig der Schlaueste von allen, dachte Decker.
Die letzte Biographie drehte sich um Gilliam Kaffey, geb. Jill Sultie. Sie wuchs verarmt in einem Wohnwagen auf, und irgendwann erblühte sie von einem staksigen Teenager zu einer schönen Frau und ergatterte mit gerade achtzehn Jahren einen Job als Showgirl in Las Vegas. Ein Jahr später trug sie dank ihres ersten Ehegatten, Renault Anderson, einen fetten Klunker am Finger und kaufte ihrer Mutter, Erlene, ihr erstes Haus mit einem
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