Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
letzte, was Eduard wusste, war die Ankunft eines fünften Kindes. Der Vater von Eduard frage bisweilen brieflich nach dem Befinden Gustaves und wünschte sich, den Maler wiederzusehen.
»Du musst sie unbedingt einmal besuchen. Vater und Mutter vermissen dich. Du schreibst nie.«
Gustaves eigene Eltern waren verstorben. Die Mutter an einer Blinddarmentzündung, der Vater ein Opfer des Alkohols. Von seinen Geschwistern wusste er nichts.
Am Nachmittag des nächstens Tages trafen die Utensilien und einige Bilder des Künstlers aus Schindeln ein, und schon am zweiten Morgen verwandelte die Stimme Carusos den Berliner Hinterhof im Bezirk Charlottenburg in einen neapolitanischen Cortile. Der feine Geruch von Gouache in der Luft ließ auf eine erste Maltätigkeit Gustaves schließen.
Im Morgenmantel trat Eduard nach einem zaghaften Klopfen, ohne eine Antwort zu erhalten, in das für den Freund hergerichtete Arbeitszimmer. Er verharrte und ließ seinen Blick auf dem Maler ruhen, der mit freiem Oberkörper und hinter dem Kopf verschränkten Armen auf einem Kanapee lag. Er lauschte der Musik aus dem Grammofon mit geschlossenen Augen.
»Du liebst ihn, diesen Caruso, nicht wahr?«, fragte Eduard.
»Ja.« Gustave öffnete die Augen und grinste frech. »Aber du kommst gleich nach ihm, das versichere ich dir. Ich hoffe, du kannst Gleiches behaupten.«
Eduard machte ein ernstes Gesicht. »Du weißt genau, dass ich dich liebe.«
»Mehr als deinen Führer?«
»Mach dich nicht ständig über mich lustig. Es ist nicht leicht, in dieser Haut zu leben. Ich …«
»Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht verletzen.« Gustave stand betreten von seinem Lager auf und umarmte den Freund.
»Schon gut.«
»Du musst mir mehr über dein jetziges Leben erzählen. Über deine Arbeit in der Kanzlei. Habt ihr prominente Fälle zu vertreten? Ist auch ein ordentlicher Skandal dabei? Früher war Berlin berühmt für seine Skandalprozesse.«
»Es wird mehr unter den Teppich gekehrt als früher.«
»Ah, deshalb ist die Stadt jetzt so sauber. Ich habe mich schon gewundert. Aber irgendetwas wirst du mir berichten können?«
»Später, jetzt frühstücken wir erst einmal. Ich habe die restliche Salami für dich auf den Tisch gelegt.«
»Wenn ich mich recht entsinne, hast du gestern die meiste gegessen. Nein, nicht gegessen, du hast sie regelrecht verschlungen.«
»Ja, ich gestehe. Eingedenk deiner und Neapels.«
»Sehr schmeichelhaft, dass du mich in Verbindung mit einer Salami siehst.«
Bevor sie gemeinsam das Zimmer verließen, warf Eduard einen kurzen neugierigen Blick auf die nachgesandten Bilder, die Gustave gegen die Wände gelehnt hatte. Ein erster Eindruck veranlasste den ›Kunstbanausen‹, wie er sich selbst betitelte, zu der Bemerkung: »Sie sind anders geworden.«
»Anders?«
»Ja, menschlicher. Wärmer. Sie sind nicht mehr ganz so radikal pessimistisch und zeigen dennoch Erregung und Leidenschaft. Mehr denn je.«
Zu Gustaves Überraschung und Verdruss nahm Eduard ausgerechnet das Bild von Maria in die Hände, hielt es gegen das Licht und lobte die Ausführungen ihrer Augen.
»Eine wunderschöne Frau, was für ausdrucksstarke Augen sie hat. War sie in dich verliebt? Aber natürlich war sie das, alle Frauen sind in dich verliebt. Wer war sie?«
Gustave erzählte die Begebenheit, verschwieg jedoch seinen Irrtum. Wenn der Freund sie so mochte, wollte er ihm die Illusion lassen.
»Du hast den Blick deines Vaters für die Kunst geerbt«, urteilte Gustave und bestritt vehement, dass die Bemerkung irgendwie spöttisch gemeint war.
Kapitel 5
Herr Mühlmeier las in aller Ruhe und mit einer derart aufreizenden Gründlichkeit die Unterlagen, dass Gustave Garoche seine gähnende Langeweile nur durch ein paar abschweifende Gedanken bezwingen konnte. Die großen hellen Räumlichkeiten in der Schlüterstraße luden zum Rollschuhlaufen ein. Der Künstler bedauerte, sich seit seiner Kindheit nicht mehr auf dieses Fortbewegungsmittel gewagt zu haben. Sich die Bilder an den Wänden der Galerie anzusehen, wollte Garoche seinem Kunstsinn beim besten Willen nicht antun. Der Geschmack der Deutschen hatte, seitdem die Nationalsozialisten die Regierung stellten, tatsächlich eine furiose Wendung ins Belanglose genommen. Das war unschwer zu erkennen. Ihm fiel Fräulein Leville ein und wie er sie vor dem Bergpanorama unter der Fahne malen wollte.
In fünf Galerien hatte er seine Bilder zur Ausstellung und zum Verkauf angeboten. Jedes Mal
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