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Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renegald Gruwe
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musste er zu seinem Bedauern feststellen, dass der übersteigerte Neoklassizismus in Deutschland einen größeren Raum einnahm, als er vor Reiseantritt gedacht hatte. Auch in der Malerei schien er jeden anderen Kunststil verdrängt zu haben.
    Ein lautes Räuspern ließ Garoche aus seinen Betrachtungen zurück zu Herrn Mühlmeier finden. Ohne jegliche Regung legte der Kunsthändler die Papiere auf seinen Schreibtisch, nahm seine Lesebrille von der Nase und winkte dem um die im Raum aufgestellten Plastiken herumstreifenden Maler mit dem Finger zu sich. Wie die Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel. Mit einem Kopfschütteln lehnte er die Bewerbung Garoches mit den Worten ab: »Lieber Herr Garoche, in Rom, Paris und …«, er sah auf das Papier vor sich, als habe er die dritte Stadt vergessen, »New York, mag der derzeitige Kunstgeschmack Ihren Werken zuträglich sein, in Berlin allerdings keineswegs! Außerdem …«, einen missbilligenden Blick auf Garoche werfend, las er laut den Namen der New Yorker Kunsthandlung: »Galerie Julien-Levy! Juden, was?! Und Sie glauben ernsthaft, damit können Sie in Deutschland einen Blumentopf gewinnen?« Er lächelte aufgrund seines kleinen Scherzes und setzte herablassend-verständnisvoll nach: »Aber da Sie, Herr Garoche, Ausländer sind« – er sah abermals auf den beigefügten Lebenslauf, ohne den Geburtsort wirklich zu beachten –, »Franzose, wird Ihnen das fremd sein, was ich Ihnen jetzt sa…«
    Belgier, wollte der Maler spontan berichtigen, schlug aber stattdessen mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, sodass dieser erzitterte. Mühlmeier starrte den Mann vor sich sprachlos an. Sekunden der Stille lagen zwischen dem Kunsthändler hinter und dem Künstler vor dem Tisch, bevor Garoche seine Unterlagen zusammenraffte und das Geschäft mit den Worten verließ: »Garoche, mein Name ist einfach Garoche, nicht Herr . Guten Tag!« Einer weiteren Belehrung wollte er aus dem Weg gehen. Er kannte die Argumente der Kunsthändler in dieser Stadt mittlerweile zur Genüge.
    Der jüdisch-bolschewistische Einfluss eines Liebermanns und eines Kandinsky auf die Kunstwelt sei, Gott sei Dank, in Deutschland ein für alle Mal gebrochen. Deutsche Künstler malten nunmehr deutsche Bilder. Und deutsche Bilder zeigten den Geist Deutschlands. Und der Geist Deutschlands sei die NSDAP, und die NSADP sei Adolf Hitler.
    Blieb zu hoffen, dass auch dieser Geist einmal aufhörte zu spuken und Herren wie Mühlmeier keinen Einfluss mehr auf die Kunst hatten.
    Gustave trat gegen einen Mülleimer und zog dadurch missbilligende Blicke der Passanten auf sich. Weil es zu regnen begann, hastete er zum nächsten S-Bahnhof. Wenig später stieg er aus dem Halbdunkel des S-Bahnhofs Unter den Linden hinauf ans Tageslicht. Nur von den erwarteten Linden war nicht mehr viel zu sehen. Sie hatten einem Bauwerk weichen müssen, das die Architekten und Bauherrn ›Via Triumphalis‹ getauft hatten. Dieser Prunkboulevard reichte vom Alexanderplatz über den Lustgarten, die ›Linden‹ entlang durch die Kolonaden des Brandenburger Tores, die Charlottenburger Chaussee hinunter bis zum Olympischen Sportkomplex am neuen Stadion. Die Seiten waren dekoriert mit antiken Säulen, Fahnen und Plastiken meist nackter, antik anmutender Menschen. Garoche dachte an den Blick vom Balkon des Freundes und auf einen Teil dieser merkwürdigen Prachtstraße. Es hatte wieder aufgehört zu regnen. Hier waren nicht viele Tropfen gefallen, und sie hatten nur leicht die Gehwegplatten befeuchtet. Der Sand zwischen den Steinen war trocken. Garoche lief auf der Allee gegen die Friedrichstraße zu und erreichte sein Ziel. Seine Schuhe knirschten und quietschten unter dem Bohnerwachs auf dem Holzfußboden des ehemaligen Kronprinzen-Palais Unter den Linden. Man befürchtete, die Ruhe und die Konzentration der Betrachter der Kunstwerke zu stören, die in mehr oder weniger ehrfurchtsvollem Abstand vor den Meistern standen. Schmidt-Rottluff, ›Dorf am See‹; Feininger, ›Teltow II‹; Belling, ›Dreiklang‹; und im Nachbarraum: Marc, ›Turm der blauen Pferde‹; Klee, ›Die Sumpflegende‹; Mataré, ›Die Katze‹. Im Barlach-Raum verweilte Garoche ein paar Minuten, um schließlich vor den Farben von Emil Noldes Bild ›Masken IV‹ den Kopf vor Staunen und tiefer Bewunderung zu schütteln.
    Es war dem Maler schon zu einer lieben Gewohnheit geworden, nach Besuchen in den entsprechenden Galerien und den damit verbundenen Ablehnungen seiner

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