Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Teppich rollte. Es war eine runde Eisenstange. Das Eisen blieb an einer ausgestreckten Hand liegen.
Garoche kam eine seiner Zeichnungen in den Sinn, die er als 17-Jähriger angefertigt hatte. Es war zum Ende des Weltkriegs.
Dass der Mensch, der vor ihm auf dem Rücken mitten im Wohnzimmer auf dem Teppich lag, Ähnlichkeit mit dem Soldaten aus dem Weltkrieg aufwies, den Garoche gezeichnet hatte, lag an den eigenartig verschränkten Armen und Beinen. Nur dass der deutsche Infanterist in einem Granattrichter lag und nicht, wie Wilderer, auf einem Teppich. Das Bild allerdings, wie das Blut unter dem Kopf und dem Nacken des Toten hervorquoll, war mit dem des toten Deutschen identisch.
Gefallen war der Soldat in den letzten Kriegstagen während der Befreiung Belgiens. Große Gefechte hatte es um die Stadt Eupen schon auf deutschem Staatsgebiet nicht gegeben und so war der Granattrichter auf dem Kartoffelacker weit und breit der Einzige. Ein wirklich seltsam anmutendes Bild, erinnerte sich Garoche. Ein einziger Granateneinschlag und ein einziger toter deutscher Soldat und der lag ausgerechnet in diesem Krater. Gustave selbst war zu jung gewesen, um am Krieg teilnehmen zu können. Später hatte er diesen Soldaten aus dem Gedächtnis gezeichnet.
Garoche stand ganz still. Der unabänderliche Wunsch dieses Bild auf Papier zu bannen, musste unter Kontrolle gehalten werden. Es durfte keine Zeit mit künstlerischen Gedanken verschwendet werden. Jetzt zählte der klare Verstand. Befand sich noch eine weitere Person in der Wohnung? Eine Lebende? Vielleicht sogar der Mörder? Dass Hans Wilderer sich seinen Schädel nicht selbst durch einen unglücklichen Sturz zertrümmert hatte, bewies die blutverschmierte Eisenstange. Auch musste der Mörder mit enormer Kraft zugeschlagen haben.
»Haben Sie mal Feuer?«
Garoche fuhr erschrocken herum. Waren es nur die Gedanken, in die er versunken war, oder war es auch das schlechte Gewissen, das ihn so furchtsam machte.
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber es ist ärgerlich, wenn man Zigaretten hat und keine Streichhölzer. Normalerweise habe ich auch ein Feuerzeug, aber kein Benzin. Auch vergessen zu kaufen. Zum Glück«, lachte der Mann herzlich über sich, »habe ich heute Morgen, als ich aus dem Haus ging, meinen Kopf nicht vergessen.«
Garoche nahm wie in Trance eine Zigarette aus der Packung, die ihm der freundliche Herr angeboten hatte. Dann zündete er ein Streichholz.
»Eigentlich soll ich mit dem Rauchen aufhören, sagt mein Arzt und meine Freundin pflichtet ihm bei. Nicht allein weil dieser Arzt der Bruder meiner Freundin ist, auch weil der Bruder sagt, dass es ungesund sei zu rauchen. Meine Freundin stört eigentlich mehr der Geruch, der in den Gardinen ihrer Wohnung und in der Wäsche hängen bleibt. Demnächst muss ich womöglich noch auf dem Balkon rauchen. Können Sie sich das vorstellen?« Wieder lachte der Mann und hielt seine Zigarette in das Feuer, dabei fiel sein Blick auf Garoches Hände. »Sie sind Kunstmaler!«
Jetzt schaute Garoche ungläubig. Woher wusste dieser Mensch, dass er Maler war?
»Nein, ich bin kein Hellseher.« Es legte sich wieder ein Lächeln auf das Gesicht des Herrn. »Sie haben noch Farbreste an ihren Fingernägeln.«
Garoche sah verdutzt auf seine Hände. Das Coelinblau vom abendlichen Himmel über Klärchen klebte noch in feinen Partikeln unter seinen Fingernägeln. Klärchen war eine Südseeschönheit auf einem Bild von Otto Mueller. Natürlich trug es nur die Signatur von Mueller und Klärchen war ein Modell, das zu Garoche nach Pötzow herausgekommen war und dem Maler gesessen hatte.
»Sie kannten Herrn Wilderer?«, wandelte sich das freundliche Gesicht des Herrn in ein strenges. Dabei nickte er in Richtung des Toten. »Ich darf mich vorstellen, mein Name ist Malek. Kriminalkommissar Erich Malek. Ich bin von der Polizei.« Der Kriminalist zog einen Ausweis aus seiner Manteltasche und hielt ihn Garoche vor. »Und Sie sind?«
Gustave kramte seinen Pass hervor und zeigte ihn seinerseits dem Kommissar. Dieser betrachtete die Papiere sorgfältig.
»Gustave Garoche. Sie sind Belgier? Sie haben in Italien gelebt?«
Garoche nickte.
Malek spürte natürlich die Unsicherheit des Mannes. »Sie müssen nicht nervös werden. Ich gehe davon aus, dass Sie mit dem Mord hier nichts zu tun haben. Was Sie hier zu suchen hatten, werden Sie mir erzählen.«
»Herr Wilderer wollte einige Bilder von mir verkaufen. Hier sind
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