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Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renegald Gruwe
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bedienen, oder?« Gleichzeitig schob er eine junge Frau, die sich ein wenig sträubte, weil es ihr peinlich war, mit den Worten nach vorn: »Gehen Sie nur, die Jüdin hat zu warten.«
    »In meinem Geschäft«, reagierte Herr Dorne für alle im Laden Anwesenden gut hörbar, ohne jedoch den Hitlerjungen direkt anzusehen, »wird der Kunde bedient, der an der Reihe ist.« Er nahm den Einkaufszettel der älteren Frau und las die Bestellung. Kernseife fand sich im hinteren Teil des Geschäfts, Herr Dorne ging sie holen. Frau Dorne, die die Ansicht ihres Mannes kannte, so wie auch die anderen im Dorf, ergriff die Gelegenheit der Abwesenheit ihres Ehegatten und sagte zu Frau Kerner, die eine Melone in der Hand hielt und den Reifegrad prüfte: »Dass sich der Kommerzienrat Winter immer noch die Juden hält, kann ich nicht verstehen. Er ist doch sonst ein anständiger und korrekter Mensch.«
    Eine Kundin, die in der Warteschlange hinter Frau Kerner stand, schob sich ein wenig nach vorn und hielt die Hand vor den Mund. Was ihre Worte vor weiteren Hörern verbergen sollte, entpuppte sich als ein Trichter, sodass jedermann das Gesprochene deutlich vernehmen konnte. »Seine Frau ist doch selber Jüdin, was erwarten Sie da?«
    Die Frauen blickten nun unverhohlen zur Wirtschafterin der Winters, die verlegen ihre Einkaufstasche nahm und das Geschäft verließ.
    Herr Dorne, der mit der Kernseife zurückkam, hörte nur noch die Türglocke und warf seiner Frau einen strengen Blick zu, die sich, schuldbewusst, wieder ihrem Geschäft zuwandte.
    »Und du, was willst du?«, fragte der Inhaber des Lebensmittelgeschäfts den Hitlerjungen in einem scharfen Ton.
    »Leber, vier Pfund!«, antwortete der Junge, ohne sich von Herrn Dornes abschätzigen Blick einschüchtern zu lassen. Garoche schaute sich das Treiben der Kunden aus der Entfernung an. Er wartete im hinteren Bereich des Geschäfts, dass der Milchmann endlich kam. Nach einigen Minuten hatte der Händler die Leber abgewogen und sie dem Hitlerjungen in blutigem Papier eingewickelt übergeben. Der hatte schon die Ladentür geöffnet, da rief Herr Dorne, wiederum so, dass jedermann es gut verstehen konnte, dem Jungen hinterher: »Wir verkaufen hier Lebensmittel, Waschpulver und auch einige Textilwaren. Aber wir sind nicht dafür da, Propaganda der Partei unter unseren Kunden und Nachbarn zu verbreiten. Das sollte den Veranstaltungen vorbehalten sein und den Parteitreffen. Dort werde ich Bericht erstatten.« Herr Dorne war sich bewusst, dass dessen Vater in der angesprochenen Versammlung anwesend sein würde. Der Hitlerjunge zuckte nur mit den Schultern und gab mit einem Grinsen dem Milchmann die Klinke der Ladentür in die Hand.
    Nachdem Garoche seine beiden Flaschen Milch erhalten hatte, zündete er sich, das Wurst- und Fleischpaket unter den Arm geklemmt, vor dem Geschäft der Dornes seine Pfeife an. Er schmauchte und ging langsamen Schrittes seinen Weg zum Haus zurück. An der nächsten Straßenecke entdeckte er den Hitlerjungen, wie er auf sein Fahrrad gestützt mit einem Mädchen sprach. Genauer gesagt, machte er der etwa Gleichaltrigen den Hof und das Kichern des Mädchens zeigte, dass es ihr nicht unangenehm war. Der Junge unterbrach seine Unterhaltung, als Garoche auf Höhe der beiden stehen blieb, um seine Pfeife nochmals anzuzünden. Ihre Blicke begegneten sich, und er hörte über die Straße, wie der Junge dem Mädchen von dem Vorfall im Laden der Dornes erzählte. Er sprach dabei so provozierend laut, dass der Maler jedes Wort verstand.
    »Das wird noch ein Nachspiel haben mit dem Dorne. Der braucht sich nicht einzubilden, dass mein alter Herr sich von dem etwas erzählen lässt. Schließlich ist er Truppführer.« Und als ließe er Garoche eine Warnung zukommen, rief er die Straße hinunter: »Wir werden es dem Judenpack und allen anderen schon zeigen!«
    Die anderen? Zähle ich da auch dazu?, fragte sich Garoche, während er das Grundstück seiner Fälscherwerkstatt betrat. Er legte seine Einkäufe in der Küche ab und konnte sich nicht erklären, was in Deutschland los war. Zum ersten Mal spürte der Künstler die Bedrohung am eigenen Leib, die er zuvor nur in den ausländischen Zeitungen gelesen hatte. Obwohl die Aussprüche des Jungen alles und jeden meinen konnten, ahnte Garoche, dass sie auch ihm galten. Aber warum? Weil er Ausländer war? Ein Künstler? Oder weil er hier mit Katuschke unter einem Dach lebte? Wer weiß, was sich die Leute alles zusammenreimten?

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