Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Fisches mit der Leine und dem Jungen. Es war ein ordentlicher Fang und die Rute spannte sich bedenklich unter der Last. Schließlich siegte der Angler und schwang den sich nur noch schwach gegen sein Schicksal wehrenden Fisch, einen prächtigen Karpfen, zu sich hinüber in sein Boot. Der Maler sah den Schlag voraus – das Ende des Fisches – und wollte sich wieder seiner Zeichnung widmen. Da geschah etwas Unerwartetes: Der Junge nahm den Fisch vom Haken und hielt ihn sich vor sein Gesicht, als habe er vor, das zappelnde Tier auf das vorstehende Maul zu küssen. Dann sagte er etwas zu dem Fisch und plötzlich, nach einigen Sekunden, warf er den Karpfen wieder in den See und machte sich über seine Angel her, um sie für einen erneuten Fischgang zu präparieren.
Garoche war von der Szene so überrascht, dass er seine Deckung für einen Moment vernachlässigte, um genauer zu sehen, was weiter geschah. Da kreuzten sich die Blicke der beiden morgendlichen Seebesucher. Der Junge erschrak nicht minder als der Maler, und für den Moment erstarrten sie. Dann warf der Angler seine Rute auf den Boden des Bootes, anscheinend war ihm die Beobachtung mit dem in den See zurückgeworfenen Fisch unangenehm, und legte die Riemen ein, um ans andere Ufer zu rudern.
Garoche blieb sitzen, und als sich die Wasseroberfläche wieder von den Bewegungen des Ruderboots beruhigt hatte und die sich umstehenden Bäume erneut im Wasser spiegelten, sann der Maler über den Jungen nach. Die Episode im Laden der Dornes vor sich, fragte er sich, wie so etwas möglich war. Da hatte dieser Junge mehr Mitleid mit einem Fisch, als er für eine jüdische Frau empfinden oder zumindest zeigen konnte. Sicherlich, hier glaubte er sich unbeobachtet und musste nicht Zeugnis von seiner Gesinnung vor der Öffentlichkeit ablegen. Wie groß musste der Druck auf den Menschen in diesem Land lasten.
Noch ein drittes Mal sollte Garoche den Jungen wiedersehen.
Kapitel 13
Barbara Leville legte ein Dokument auf den Tisch des Cafés in der Berliner Innenstadt. Garoche glaubte, im Auge seiner Bekannten eine Träne zu erkennen.
»Vor Freude«, bestätigte sie seine Beobachtung, »es ist nur, weil ich endlich das Land verlassen kann.« Das Papier war das Visum für die Schweiz.
Garoche freute sich mit Fräulein Leville, wunderte sich jedoch, warum ihr dieser Wunsch so dringlich war. »Sie sind eine wunderschöne Frau und haben Erfolg in Ihrem Beruf. Was bringt Sie dazu, aus Berlin, aus Deutschland fortzugehen?«
Barbara Leville blickte sich um, außer ihnen war lediglich der Kellner in der Nähe, der abseits an einem Tisch saß und die Tageszeitung las. »Ich habe meinen Namen geändert, als ich nach Berlin kam. Natürlich nicht amtlich. Ein kleiner Eintrag in meinen Papieren, und aus Levi wurde Leville.«
»Sie haben eine Urkundenfälschung begangen und deshalb wollen Sie das Land verlassen?« Eingedenk seiner eigenen Verfehlungen lächelte Garoche ein wenig.
Fräulein Leville missverstand die Mimik des Malers. »So lustig ist das nicht, in Deutschland legt man im Augenblick sehr viel Wert auf Herkunft und Abstammung. Auf die richtige, wohlgemerkt.«
Garoche klärte das Missverständnis auf. Er erzählte von seinen gefälschten Galeriepapieren und machte schließlich sogar im Vertrauen ein paar Andeutungen über seine jetzige Tätigkeit in Pötzow.
»Niewarth sagen Sie? Otto Niewarth?«
Gustave fragte sich, woher Barbara den Kunsthändler kannte.
»Man trifft so allerlei Menschen, wenn man in Berlin als Modell tätig ist.« Sie ging nicht näher auf den Ort ihrer Begegnung ein, warnte aber Garoche stattdessen: »Seien Sie bloß vorsichtig, das ist ein ganz ausgekochtes Schlitzohr. Trauen Sie ihm ja nicht über den Weg!« Ermuntert durch Garoches Offenheit fuhr sie fort: »Als Jüdin fürchte ich Repressalien seitens der Behörde, wenn mein kleiner Schwindel auffliegt. Außerdem sind für Juden in diesem Land die Aussichten generell nicht gerade rosig, was ein anständiges Leben anbelangt.«
Damit hatte Garoche nicht gerechnet. »Sie haben Ihren Namen geändert, weil Sie Jüdin sind?«
»Damals, als ich nach Berlin kam, nicht. Es ging mir nur um einen klangvolleren Namen, der Karriere wegen.«
»Aber Sie denken, man macht Ihnen deshalb Schwierigkeiten?«
Jetzt lächelte Barbara Leville bitter: »Sie müssen verstehen, in Deutschland sieht man es nicht gerne, wenn sich deutsche Juden als deutsche Nichtjuden ausgeben. Es gibt Gesetze. Und ich möchte nicht
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