Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
sprach ihn auf seinen Block an, den er unter seinem Arm geklemmt trug: »Du hast Skizzen gemacht?«
»Ja, ich war unterwegs.«
»Lässt du mich sie ansehen?«
Katuschke sah Garoche prüfend an. Der erklärte seinen Beweggrund.
»Ich weiß, es ist nicht üblich unter Kollegen, aber es interessiert mich, wie die Vorbereitungen für deine Bilder aussehen.«
Wortlos reichte Katuschke Garoche seinen Zeichenblock und trat einige Schritte zurück, als wolle er Abstand zwischen sich und den Betrachter seiner Skizzen bringen. Garoche blätterte langsam, studierte jede einzelne Seite und jede Abbildung lange und sagte, ohne den Kopf zu heben: »Es sind wirklich gelungene Studien.«
»Bauern aus der Umgebung.«
Über eine Zeichnung musste Garoche lächeln: »Ach, sieh an, Jürgen, der Wäschereibote!« Er war der Einzige, der ihm bislang persönlich bekannt war. Nachdem er alles gesehen hatte, ließ Garoche den zugeklappten Zeichenblock auf seinen Knien liegen, schloss die Augen und besann sich vor seinem inneren Auge einiger Bilder. »Ich habe Darstellungen von Bauern gesehen, hier in Berlin in der Nationalgalerie und bei den Kunsthändlern, denen ich meine Werke angeboten habe, auch bei Niewarth, die trugen denselben Ausdruck in ihren Gesichtern. Sie sahen«, Garoche suchte nach den richtigen Worten, »eingeschüchtert und ängstlich aus. Natürlich«, reagierte der Maler auf den fragenden Blick des Kollegen, »Bauern sind von Natur aus vorsichtige und zurückhaltende Menschen, was das Leben anbelangt. Das Wetter und das Land gehen manchmal hart mit ihnen um, und das Schicksal kann sehr grausam zuschlagen. Aber diese Bauern auf den Gemälden waren anders. Sie saßen wie steife Puppen um einen Tisch oder an einem Ofen und ich hatte das Gefühl, irgendjemand hat gerade gedroht, ihnen etwas anzutun, verstehst du?« Er sah Katuschke an, doch der nickte nur und begann sich eine Pfeife zu stopfen. »Ich weiß, Bauern haben schon immer ein schweres Leben gehabt. Aber ihre Gesichter sahen anders aus. Man beachte die Porträts von Rembrandt, van Gogh und Liebermann. Sie litten Not, sie hungerten, sie verloren Ernten, sie starben an Krankheiten. Aber diese Bauern auf den Bildern deutscher Künstler haben schiere Angst. Wovor? Nicht vor der Natur oder vor Krankheit. So wie sie von den Malern dargestellt werden, ordentlich gekleidet, meist im Sonntagsgewand, satt genährt, rote Wangen, gesunde und wohl genährte Kinder, und auch ihre Wohnstuben lassen auf ein gutes Leben schließen. Und doch: keine Freude. Kaum ein Lächeln, geschweige denn ein Lachen. Und das im Nationalsozialismus. Es ist, als ob die Maler ihnen einen leichten Farbanstrich, einer Maske gleich, verpasst haben. Doch die wahren Gefühle scheinen noch durch. Auf einem Bild, das ich in der Nationalgalerie gesehen habe, saß eine Familie dicht beieinander und lauschte offenbar dem Führer, der aus einem Radiogerät zu ihnen sprach. Neben dem Gerät hing ein Bild Adolf Hitlers an der Wand. Es gab nicht ein einziges Gesicht, das lachte oder zumindest lächelte. Als hätten sie sich tief in ihr Innerstes verkrochen und die Seelen verschlossen vor dem, was ihnen ihr Staatsoberhaupt mitzuteilen hatte.«
»Es ist das Bild der deutschen Gesellschaft, ganz klar«, bestätigte Katuschke die Gedanken Garoches. »Es sind nicht nur die Bauern, auch Arbeiter und Soldaten werden so dargestellt, als wäre Kraft und Entschlossenheit das Einzige, was im Wesen des deutschen Menschen vorhanden ist. Nur ist dem nicht so.«
»Aber die Menschen auf deinen Zeichnungen haben genau dieselben Gesichter.«
»Es ist trainiert. Man versteckt sich. Macht gute Miene zum bösen Spiel. Und eben das ist heutzutage die Kunst: hinter die Gesichter zu sehen und das Gesehene darzustellen. Nur leider gefällt den Entscheidungsträgern hierzulande nicht unbedingt, was dabei zum Vorschein kommt.« Katuschke nickte abschließend und zündete sich mit einem Streichholz den Tabak seiner Pfeife an. Blauer Dunst stieg empor, während er schweigend seinen Zeichenblock von Garoche entgegennahm. Dann drehte er sich um und schickte sich an, sein Atelier aufzusuchen. Als er schon ein Stück gegangen war, drehte er sich noch einmal um und sagte, indem er mit der Pfeife auf das Bild Gustaves auf der Staffelei deutete: »Kein schlechter Garoche, aber leider nur ein mittelmäßiger Mueller.«
Als der Kollege verschwunden war, brachte Garoche nicht mehr die Konzentration auf, an seinem Bild weiterzuarbeiten. Die
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