Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
rief der Alte dem Fremden noch nach: »Wenn Sie kein Jude sind, können Sie doch ruhig sitzen bleiben. Gegen Ausländer haben wir nichts! Wir sind doch keine Unmenschen!«
Der Mittag war längst vorüber. Das Gesicht, das Otto Niewarth machte, als er Garoche in der Ladentür stehen sah, konnte man getrost als entsetzt beschreiben. So entsetzt sogar, dass ein Kunde, der sich gerade mit ihm in einem Gespräch über ein Gemälde befand, überrascht fragte, ob der Herr Kunsthändler denn ein Gespenst gesehen habe?
»Ein Gespenst«, sagte Niewarth verkniffen, als habe der Kunde einen guten Witz gemacht. »Köstlich, Herr Bornemann, ganz köstlich! Einen Augenblick, Herr Bornemann!« Der Galerist entschuldigte sich, lief zu Garoche und zog ihn am Ärmel in das Nebenzimmer hinter den Vorhang. Niewarth tat dies alles mit einem überaus künstlichen Grinsen. Erst als sie allein waren, ließ er seine Mundwinkel fallen und fuhr Garoche an, was ihm eigentlich einfiel, nach Berlin in die Galerie zu kommen? Es sei viel zu gefährlich, und man dürfe sie hier nicht zusammen sehen. Erst als er bemerkte, wie er sich im Ton vergriffen hatte, entschuldigte er sich damit, dass er derzeit etwas überspannt sei. Die Geschäfte liefen nur schleppend, und neulich sei ein Händler, der mit ihm zusammenarbeite, aufgeflogen. »Gott sei Dank war es keines meiner Bilder, das die Polizei beschlagnahmte.«
Auf die Frage Garoches, wie viele Künstler es denn gebe, die sich auf dieses Geschäft eingelassen haben, antwortete Niewarth nur mit einem Achselzucken. Darüber brauche er sich keine Gedanken zu machen, vielmehr mache ihm, Niewarth, der Katuschke Sorgen wegen der Sauferei.
Nach der unwillkommenen Stippvisite bei Otto Niewarth wollte Garoche noch einen zweiten Besuch in Berlin machen. Über den Freund von Barbara Leville, Helmut Neustädter, war Gustave an die Adresse von Fritz Tucher gelangt. Dem Maler, dessen Bild er Wilderer abgekauft hatte.
Herr Neustädter hatte über die Agentur, von der er seine Aufträge erhielt, die entsprechende Anschrift herausgefunden.
»Tucher, Fritz, steht immer noch im Künstlerverzeichnis. Obwohl er seit 1933 erst Mal- dann ab 1934 Arbeitsverbot hat. Neben seiner Kunst hat er Dekorationen für Theater und Fotoateliers entworfen«, hatte Neustädter zu berichten gewusst.
Die Wohnung des Künstlers lag im Bezirk Wedding in eben so einem Haus, wie es auf dem Gemälde dargestellt war. Nur hier war das Grau der Fassade ein wirkliches Grau.
Gustave musste vier Treppen hinaufsteigen und eine ganze Weile warten, bis eine Reaktion auf sein Klopfen erfolgte.
»Sie wünschen?«, fragte eine Stimme, nachdem sich die Wohnungstür einen Spalt geöffnet hatte.
»Mein Name ist Garoche, Gustave Garoche.«
»Garoche? Klingt französisch?«
»Belgisch.«
»Was sind Sie? Ein Kunstliebhaber, ein Sammler, ein Galerist?«
»Ich bin Maler.«
Nach einigen Minuten des Schweigens öffnete sich die Wohnungstür und Tucher ließ den Fremden ein.
Kurz bevor die Tür geschlossen wurde, sah Garoche am Zugang zur Nachbarwohnung wie der Türspion zurückgeschoben wurde.
»Das ist die Lehmann«, erklärte der Künstler knapp.
»Neugierige Menschen gibt es überall«, nahm Garoche die Beobachtung durch Frau Lehmann gelassen. Er winkte und kurz danach verschloss sich der Spion wieder. Dann trat er in die Wohnung.
»So, so, ein Maler sind Sie, dann sind wir ja schon zu zweit.«
Das Erste, was Garoche auffiel, war, dass es im Flur nach Kohl roch. Genauer nach Eintopf. Nicht nach Ölfarbe oder Firnis, wie der Besucher erwartet hatte. Das Zweite, was der Maler bemerkte, war, dass es keine Malutensilien gab. Keine Leinwände, keine Pinsel, keine Farben. Ja nicht einmal Papier und Bleistift war in diesem Raum zu finden. Vielleicht, so dachte Garoche, hatte der Kollege ein Atelier oder eine Werkstatt außerhalb?
Tucher hatte einige Kleidungsstücke von einem alten, zerschlissenen Sessel genommen, um Platz für den Gast zu schaffen. Er bemerkte den suchenden Blick.
»Sie werden bei mir nichts finden, das man zur Herstellung eines Bildes oder eines anderen Kunstwerkes benutzt. Amtlich angeordnet. Sie kommen regelmäßig und kontrollieren.«
›Sie‹, das war die Polizei und sie machte unangemeldete Hausbesuche. Dann warf ein Beamter einen Blick in die Schränke und unter das Bett des Künstlers, machte eine Notiz und verschwand wieder.
»Aber sie werden nichts finden. Ich habe mit der Malerei abgeschlossen.« Fritz Tucher nahm
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